von Isabel von Wilcke und Heiko Burkhard
Die Fahne kurz
Schwierige Lagen drohen jeden Score zusätzlich noch weiter zu strapazieren. Besonders knifflig wird es, wenn wir uns während einer Runde mit einer tourniveauähnlichen Spielsituation konfrontiert sehen, bei der es gilt, mit dem Pitch ein Hindernis zu überwinden und den Ball möglichst nah der kurz gesteckten Fahne zum Halten zu bringen. Wenn nicht viel Platz für ein langes Ausrollen des Balles bleibt, ist der benötigte Schlag der Lob- oder Flop-Shot.
Es war vor allem Phil Mickelson, der diesen extrem steil abfliegenden Annäherungsschlag medial kultiviert hat. Viele Hobbygolfer greifen daher gerne mal voreilig zum 60-Grad-Wedge und stellen sich dem eigentlich vermeidbaren Risiko. Denn: Ein Lob-Shot sollte nur gespielt werden, wenn es wirklich keine andere Alternative gibt. Flachere Annährungsschläge bergen wesentlich weniger Gefahren, sollte der Schlag nicht zu hundert Prozent gelingen. Andererseits ist es das größte Glück, wenn so ein Show-Schlag klappt. Heiko Burkhard, der dieses Jahr zum »Teacher of the Year« der PGA of Germany gekürt wurde, zeigt, wie auch Sie ein Lob-Shot-Showmaster werden können. Bevor die technischen Feinheiten erläutert werden, geht es um die Voraussetzungen: Ball und Lage.
Weicher Ball
Bälle sind das A und O. Beim Kurzspieltraining ist es wegen des Spin- und Flugverhaltens sinnvoll, einen qualitativ guten Ball zu spielen. Das gilt nicht nur für Topspieler, sondern ebenso für »normale« Freizeitgolfer. Auch als Amateur ist es gut, den gleichen Ball zu nutzen. Top-Ball-Modelle gibt es viele. Neben dem oft gehuldigten Titleist Pro V1 stellen auch andere Firmen exzellente Multi-Layer- Modelle her – beispielsweise TaylorMade den TP5, Callaway den Chrome Soft, etc. Definitiv sollten fürs Training des Kurzen Spiels keine beschädigten Fundbälle mit Rissen oder ähnlichem eingesetzt werden. »Beim gezielten Kurzspieltraining sind das Ballfeedback und auch das Flug- Roll-Verhalten des Balles essenziell. Und da sind Abreibung, Kompression und entsprechende Ballwechsel zu hochwertigeren Bällen wichtig«, betont Heiko Burkhard.
Beim Lob-Shot soll der Ball nicht nur mit viel Tempo steil abfliegen, sondern auch dank maximaler Höhe mit einem steilen Landewinkel auf dem Grün möglichst schnell zum Stoppen kommen. Neue Wedges mit tiefen und nicht abgespielten Grooves und besonders weiche Bälle sind da sinnvoll. Doch durch die scharfen Grooves erhält die weiche Ballschale auch mehr Abrieb. Daher wechseln Profispieler ihren Ball alle paar Bahnen, einige Spieler sogar nach jedem Loch. Das regelt sich bei Amateurspielern meist von alleine, dennoch empfiehlt es sich, auch als Freizeitgolfer, immer mit dem Ball zu trainieren, der auch im Turnier eingesetzt wird.
Heiko Burkhards Profi-Tipp: Anstatt Lob-Shots mit abgespielten Rangebällen zu üben, sollte man sich lieber ein »Short-Game-Bag« mit circa 30 alten, selbst gespielten Bällen (von einer Marke!) erstellen und fürs Training immer griffbereit haben.
Exkurs – Die kleine Ballkunde
Es gibt harte Two-Piece-Bälle (Kern zuzüglich einer robusten Schale) und weichere Multi-Layer-Bälle, die aus bis zu fünf verbauten Schichten (engl. Layer) bestehen. Die Bälle unterscheiden sich durch den inneren Aufbau, die verschieden verformten Dimples und die Festigkeit der äußeren Schale. Das Flug- und Spinverhalten und auch die Ballkompressionen haben unterschiedliche Auswirkungen auf die Spieleigenschaften des Balls. Die Schalen härterer Bälle erfahren weniger schnell Abrieb, wohingegen hochwertig produzierte Bälle mit weicher Schale durchaus schneller abgenutzt werden.
Situationsanalyse
Auf der Runde sollte die strategische Schlagentscheidung erst getroffen werden, wenn die Balllage und die zu absolvierende Spielsituation auch umfangreich analysiert worden sind. Manchmal greifen Spieler bereits voreilig zum Schläger, wenn sie noch viele Meter vom Ball entfernt sind. Das ist fahrlässig und kann zu bösen Überraschungen auf der Scorekarte führen. Sowohl die Einschätzung der Balllage, einschließlich der Abwägung etwaiger Alternativen sollten abgeschlossen sein, bevor es zur Schlag- und Schlägerwahl kommt.
• Wie liegt der Ball? (Untergrund: kahl, weich, matschig, fluffig, etc.)
• Was befindet sich zwischen Ball und Fahne? (Meter? Hindernis?) Wie ist Distanz vom Grünrand zur Fahne?
• Wie sollte der Ball fliegen? (Kann flach gespielt werden? Muss der Ball hoch fliegen? Wo befinden sich die möglichen Landepunkte?)
Während die Schlagwahl (im Kurzen Spiel: Chip, Standard-Pitch, Lob-Shot) und somit die Wahl des Schlägers getroffen wurden, muss auch das eigene Spielniveau eingeschätzt werden. Auf der Runde sollten nur die Schläge planmäßig ausgeführt werden, bei denen man sich sicher fühlt. »Es ist keinesfalls sinnvoll, einen Schlag zu machen, der aktuell bei zwanzig Versuchen nur einmal klappt«, mahnt der Coach aus Stuttgart.
Loft, Lie und Bounce
Voraussetzung für einen gelungenen Lob-Shot ist die Ausgangssituation: der weiche Ball muss gut liegen – egal, ob auf dem Fairway oder im Semi-Rough. Der Untergrund sollte weder kahl noch zu fluffig sein (Gefahr des Unterschlagens). Neben der Schlägerwahl ist der Loft äußerst entscheidend für einen hübschen, hoch abfliegenden Annäherungsschlag. Doch Loft ist nicht gleich Loft. Es gibt den statischen Loft – eben jene Zahl, die auf den Wedges auch meist eingraviert ist. In der Regel hat ein Sand-Wedge circa 56 Grad Loft. Daneben gibt es noch einen dynamischen Loft, dessen Wert für einen erfolgreichen Lob-Shot extrem wichtig ist. »Ich bin kein Fan davon, dass jeder ein 60-Grad-Lob-Wedge in seinem Bag hat«, erklärt Heiko Burkhard, während er die untere Sohlenkante des Schlägers Richtung Kamera hält.
»Das bauartbedingt eh schon schwierig zu spielende Lob-Wedge hat üblicherweise einen geringeren Bounce als ein Sand-Wedge. Das ist darauf zurückzuführen, dass das Lob-Wedge einen ohnehin schon hohen statischen Loft von 60 Grad hat. Damit das Lob-Wedge spielbar bleibt, muss das Winkelverhältnis von Leading- zu Trailing-Edge stimmen und idealerweise darf die Leading-Edge nicht zu hoch in der Luft stehen, da sonst die Gefahr von getoppten Bällen steigt«, verrät der Fachmann. Dennoch ist der Bounce ein weiterer entscheidender Faktor für den steilen Bilderbuchschlag an die Fahne. Im Gegensatz zu Tourprofis, die auf brettharten Grüns mit ganz viel Stimp spielen, wird ein Lob-Wedge in unseren Längen- und Breitengraden nicht nur selten benötigt, sondern birgt auch Gefahren: Wird der Ball nicht planmäßig getroffen, saust er wie ein flaches Katapult über das Ziel hinaus oder bleibt als Hacker nach wenigen Metern liegen. Die Wahl des Wedges ist immer abhängig von der Bodenbeschaffenheit. Doch für den Lob-Shot empfiehlt sich ein Schläger mit viel Bounce.
»Für den Treffmoment benötige ich viel dynamischen Loft und auch viel Speed, damit der hoch abfliegende Ball auch ausreichend Länge bekommt«, erklärt Heiko Burkhard, während er für das Fotoshooting Ball um Ball gekonnt Richtung Fahne spielt.
Exkurs – Bounce
Der Bounce beschreibt eine bauartbedingte Eigenschaft des Schlägers, nämlich den Grad der Wölbung an der Schlägersohle – den Winkel zwischen der Sohle des Schlägers und dem Boden. Beim aufrecht platzierten Sand-Wedge liegt die »Trailing-Edge« tiefer als die »Leading-Edge«. Der Winkel zwischen dem Untergrund der Trailing- und Leading-Edge ist der Bounce. Je mehr das Schlägerblatt aufgedreht wird, umso größer wird der Abstand der vorderen Kante zum Boden und um so mehr Bounce kommt ins Spiel.
Der Bounce ist neben dem Loft auf den meisten Wedges als kleine Zahl mit eingraviert. Je größer Zahl, desto mehr Bounce. Ein Bounce kann zwischen wenigen Grad bis zu 14 Grad variieren – je nach spielerischer Vorliebe und Beschaffenheit des (Heimat-) Platzes. Bei hartem Untergrund eignet sich ein niedrigerer Bounce oder man nimmt den Bounce raus, indem man den Schläger mehr auf die Leading-Edge stellt, um ein Abprallen der Sohle vom Boden zu verhindern, damit das Risiko auf Topper verringert wird. Bei weicheren Böden, überwiegend feuchten Spielbedingungen oder viel Sand im Bunker empfiehlt sich ein hoher Bounce, der besser vom Boden abprallen kann und sich nicht so leicht eingräbt. Da das Lob-Wedge von Haus aus viel Bounce hat, ist das ein »gefährlicher« Schläger, denn beim Einsatz auf Untergrund mit wenig Gras, werden Bälle eher getoppt (Mehr zum Thema Bounce und Kurzes Spiel auch im Golf Magazin 07/24).
Bereit für den Lob-Shot
Den besonders hohen Annäherungsschlag erfolgreich aus kurzer Distanz und mit viel Geschwindigkeit auszuführen erfordert: Mut, eine gute Balllage, saubere Schlagfläche und viel dynamischen Loft. Letzterer erfolgt über den Griff (Aufdrehen der Schlagfläche im Set-Up), tiefe Hände und ein dorsales linkes Handgelenk, damit auch der Bounce des Schlägers entsprechend genutzt werden kann. Absolut nicht empfehlenswert sind Balllagen mit zu wenig Gras unter dem Ball.
Die Ansprechposition erfolgt mit einem deutlich breiteren Stand, wobei die Hände etwas tiefer liegen. Dadurch kann man die Schlägerfläche nochmals weiter aufdrehen, zusätzlichen Loft erzeugen und so die Richtung der Schlagfläche ausgleichen. Im Rückschwung ist die dorsale Beugung des linken Handgelenks (Handrücken zum Unterarm hin) wichtig. Und dann gilt es mit viel Tempo Richtung Ziel zu schlagen.
Häufigste Fehler
Tempo
Aus Angst, dass der Ball über das Grün schießen könnte, wird versehentlich das Tempo im Durchschwung reduziert – und das ist ein Killer für jeden Lob. Also immer mutig durch den Ball schwingen.
Schlagfläche
Öffnet sich das Schlägerblatt nicht, passt der dynamische Loft nicht, weil vielleicht etwas am Griff nicht stimmt oder das
Handgelenk im Rückschwung nicht dor- sal genug ist. Daraufhin schließt sich die Schlagfläche und der Ball startet zu flach vom Schlägerblatt.
Zu viel Gelöffel
Beim Lob-Shot ist »Löffeln« beim Durchschwung kein Unwort und kann hilfreich sein. Kontraproduktiv wird es aber, wenn es übertrieben wird. Die Low-Point-Kontrolle ist für gute Treffer immer wichtig. Doch wandert der tiefste Schwungpunkt (unterste Stelle des Schwungbogens) durch den zu starken Einsatz der Handgelenke (Löffeln) zu weit nach rechts, lauern folgende Gefahren: Es wird zu früh in den Boden geschlagen (Hacker) oder der Schläger befindet sich wieder in der Aufwärtsbewegung (Topper). Auch eine ungünstige Gewichtsverlagerung (im Treffmoment zu weit rechts) kann den Low-Point nach rechts, also vor den Ball bringen. Zur Visualisierung oder Übung können Sie etwas Sand auf der Schlagfläche platzieren und versuchen, diesen im Rückschwung so lange wie möglich zu halten. Das bringt nicht nur Abwechslung im Training, sondern hilft auch der Schlagflächenkontrolle für den Lob-Shot.
Also nutzen Sie auch die noch herbstliche Jahreszeit für das Kurzspieltraining oder nehmen Ihr frisch gepacktes Short-Game-Bag mit in den nächsten Golfurlaub. Wenn Sie fleißig Lob-Shots trainieren, ist Ihnen der anerkennende Applaus Ihrer Mitspieler in der nächsten Saison gewiss garantiert. Viel Spaß dabei.
>>>Mehr Tipps für das Spiel innerhalb der 100-Meter-Marke<<<