– mit Paul Dyer
Es ist wahrscheinlich der älteste und sicher auch einer der umstrittensten Golf-Tipps aller Zeiten. Wie bei anderen Golf-Mythen, die wir in dieser Serie untersuchen, ist die Aufforderung, den Kopf stillzuhalten, kein kompletter Unfug. Zwar sollte der Kopf nicht hin und her schwanken, aber in seiner Funktion durchgehend fixiert werden muss er auch nicht. Etwas Bewegung von rechts und nach links ist sinnvoll, um den Körper korrekt zu drehen. Für eine optimale Beschleunigung des Schlägers ist es sogar notwendig, den Kopf zusätzlich etwas herauf und herunter zu bewegen – selbst ein Champion wie Tiger Woods tut das.
Sie sind erstaunt? Kein Wunder. Jahrelang predigte die Trainingsdidaktik, der Kopf dürfe während des Schwungs nicht bewegt werden – weder lateral, also von rechts nach links, noch vertikal nach oben und unten. Es herrschte die einhellige Meinung, Fehlschläge wie dünn getroffene und getoppte Bälle würden aus der Bewegung des Kopfes resultieren. Motto: Bewegt sich der Kopf, führt das zu einer Veränderung der Schwungachse.
Dabei ist der Golfschwung ein äußerst komplexer Bewegungsablauf. Die Bewegung des Kopfes muss nicht zwangsläufig in einen Fehlschlag samt getopptem Ball münden, nur weil der Kopf erst abgesenkt und dann wieder angehoben wurde.
Je besser wir die Biomechanik des Golfschwungs verstehen, desto mehr entdecken wir Bewegungen, die vor Jahren ungewöhnlich anmuteten, heute aber als ganz sinnvoll erscheinen. Zeichnet man beim Betrachten einer Schwunganalyse beispielsweise einen Strich über den Kopf von Tiger Woods, ist eine Bewegung von mindestens 10 Zentimetern nach oben und nach unten zu erkennen – das trifft eigentlich auf alle guten Spieler zu.
Es ist bekannt, dass Beschleunigung und Bewegung eines menschlichen Körpers durch die Interaktion mit dem Boden stattfinden; das gilt natürlich auch für den Golfschwung. Das Newtonsche Gesetz besagt: Wenn ich gegen den Boden Druck ausübe, bewege ich mich selber. Falls Sie es nicht glauben, probieren Sie es doch gleich mal im Selbstversuch aus – und springen Sie in die Luft. Was passiert? Um hochzuspringen, müssen Sie erst die Knie beugen und nach unten gehen. Genau dasselbe ist beim Golfschwung der Fall. Ein kleines Aufrichten im Aufschwung schadet überhaupt nicht. Im Gegenteil, denn so ist es im ersten Teil des Abschwungs einfacher, sich mit den Füßen in den Boden zu drücken. Siehe Beispielfotos oben.
Sehen Sie sich die Bildreihe meines Schwungs oben bitte genau an. Beim Abschwung zum Ball habe ich auf dem halben Weg, im Vergleich zum Ende des Rückschwungs, ein paar Zentimeter an Höhe verloren. Das folgende Wiederaufrichten im Treffmoment ist letztendlich eine Folge der vorhergehenden Bewegung. Wenn ich mich im richtigen Moment in den Boden hineindrücke und sozusagen „aufspringe“, kann ich die Energie, die ich entwickelt habe, auf den Ball übertragen.
Hier das Trainingsvideo zu Golf-Mythen Teil 1 – Kopf still halten? Ja oder nein?
Spieler, die versuchen, den Kopf still zu halten, werden ihre optimale Schlaglänge nie erreichen. Das ist vor allem für diejenigen bedauerlich, die auf ihre höchste Schlägerkopfgeschwindigkeit bewusst verzichten, um getoppte Bälle zu vermeiden. Dabei sind möglichst weite Drives doch das, was uns allen besonderen Spaß macht.
Ergebnis: Den Kopf stillzuhalten ist eine Vorgabe, die wir nicht mehr brauchen.
ZUR PERSON PAUL DYER
- Geboren: Whalley/England
- Nationalität: deutsche und englische
- Wohnsitz: Eutin / Schleswig-Holstein
- Familienstand: verheiratet mit Wing Han, zwei Töchter (10 & 12 Jahre alt)
- Profi seit: 1991
- Laufbahn: Leadbetter Master Instructor, PGA Coach Team, Top 75 International Digest Trainer, Herausgeber von vier Büchern und drei Lehr-DVDs
- Hobbies: „Gibt es etwas neben Golf?“
- Weitere Infos: pauldyergolf.com oder auf Instagram