Spieglein, Spieglein an der Wand, wer hat den schönsten Schwung im ganzen Land? Ähnlich wie in der Ästhetik, in der unbewusst all jene Gesichter als besonders hübsch gelten, die besonders symmetrisch sind, verhält es sich auch im Golfsport. Golfschwünge, die besonders „neutral“ sind, gelten als schön – und ganz nebenbei sind „neutrale“ Schwünge auch noch effizient.
Zu den Schönschwingern, oder eben den „Best Swings“, zählen neben Big Easy Ernie Els der mehrfache Majorsieger Rory McIlroy, PGA Championship-Sieger 2017 Justin Thomas (Golf Magazin Titel 12/2020), Open Champion 2010 Louis Oosthuizen oder Adam Scott – Masters-Sieger von 2013. Auf der Damentour brilliert die Holländerin Anne van Dame mit einem äußerst exzellenten und neutralen Golfschwung (siehe YouTube-Video unten). Natürlich gibt es auf den Profitouren weltweit noch ganz viele weitere Athleten mit technisch perfektionierten und ästhetisch ausgefeilten Schwüngen. Doch was genau ist unter einem „neutralen“ Golfschwung zu verstehen?
Was bedeutet „neutraler Schwung“?
Eigentlich ist die Bedeutung eines „neutralen“ Golfschwungs äquivalent mit der eines neutrales Griffs – also wie der Spieler oder die Spielerin den Golfschläger mit den Händen am Griff greift. In der Trainingsdidaktik wird zwischen einem schwachen, einem starken und einem neutralen Griff unterschieden. Ein zu starker Griff (bei Rechtshändern liegt der Handrücken der linken Hand deutlich mehr auf dem Griff, so dass drei oder mehr Fingerknöchel der linken Hand zu sehen sind) kann ebenso wie ein zu schwacher Griff (bei Rechtshändern liegt der Handrücken der linken Hand deutlich unterhalb des Griffs, so dass maximal nur noch ein Fingerknöchel der linken Hand zu sehen ist) zu Folgefehlern im Schwung führen. Bei einem neutralen Griff (bei Rechtshändern sind in der Regel zwei Fingerknöchel der linken Hand zu sehen) ist das Risiko von etwaigen Folgefehlern im Schwung deutlich minimiert. So hat sich im deutschen Sprachgebrauch die Rede vom „neutralen“ Schwung eingeschlichen – also einem effizienten Schwung, der frei von jedweden überflüssigen Kompensationsbewegungen ist und mit dem der Ball ohne unnötigen Zusatzaufwand möglichst optimal geschlagen werden kann.
Stefan Quirmbach, Chef der PGA of Germany, nennt einen „fließenden Rhythmus“ und „eine gute Balance durch die gesamte Bewegung hindurch“ als die Merkmale eines „neutralen“ Schwungs. „Neutrale Schwünge wirken scheinbar kraftlos, obwohl der Ball weit und gerade fliegt“, erklärt der Trainingsfachmann Quirmbach weiter.
Der Traum vom perfekten Schwung ist kein Muss
Ein Blick auf die Profitouren zeigt, dass es unzählig viele Wege gibt, einen Ball mit möglichst wenig Schlägen Richtung Ziel zu befördern – das ist nicht zuletzt an Spielern wie Jim Furyk oder Matthew Wolff zu sehen. Nicht nur Profi- , sondern auch Amateurspieler streben nach Perfektion. Stets auf der Suche nach dem perfekten Schwung vergessen wir oftmals, dass sich nicht nur jeder Körper anatomisch voneinander unterscheidet, sondern Schwünge auch durchaus individuell sein dürfen. Dennoch verraten wir Ihnen hier die sieben Merkmale eines „neutralen“ Schwungs.
Sieben Schritte zum neutralen Schwung
Stefan Quirmbach zufolge kann man mit Hilfe von sieben Kontrollpunkten den eigenen Golfschwung überprüfen. Machen Sie dazu Videoaufnahmen Ihres Bewegungsablaufs von vorne und von der Seite – am besten unter Zuhilfenahme eines Smartphones. Halten Sie das Video an den sieben unten aufgeführten Positionen an und vergleichen Sie diese miteinander (siehe Fotos unten). Sollten Ihre Schwungpositionen erheblich von den unten aufgeführten Schwungaufnahmen abweichen, sollten Sie einen Trainer konsultieren und ihn um eine Analyse bitten.
Neutraler Golfschwung –Position 1: Ansprechhaltung
Der Körper bildet das Fundament für eine neutrale Ansprechhaltung. Ist der Griff korrekt, also liegt der Schlägergriff korrekt in den Händen und steht der Körper richtig zum Ball, kann der Schwung der Arme bestmöglich durch den Körper gestützt werden. Der Körper ist sowohl für die Balance, als auch die Dynamik zuständig.
Auf Folgendes ist zu achten: Die Beine sollten ungefähr schulterbreit stehen, am besten sind die Fersen in direkter Linie unter den Schultergelenken positioniert. Die Füße sollten rund 10 Grad nach außen gedreht sein. Der Kopf wird hoch gehalten, sodass die Drehung der Brustwirbelsäule (in der Umgangssprache der Golfer die Schulterdrehung) frei durchgeführt werden kann. Die Arme hängen unter dem Kinn, nur bei den Eisenschlägen sollten sie etwas mehr vor dem linken Oberschenkel sein.
Von der Seite (Foto oben) sieht man gut, dass die Knie- und Hüftwinkel harmonisch zueinander passen. Das Gewicht ruht auf der Fußmitte. Die Arme hängen leicht nach vorn herab und der linke Daumen befindet sich unter dem Kinn.
Neutraler Golfschwung –Position 2: Die L-Stellung
Aus dem neutralen Set-Up beginnt die erste Phase des Ausholens bis in die sogenannten L-Stellung. Dabei ist darauf zu achten, dass die Körperdrehung gleichzeitig mit der Hüft- und Schultergürteldrehung erfolgt, sich die Arme seitlich bewegen und die Handgelenke gewinkelt werden.
Wenn der linke Arm parallel zum Boden ist, sollte der Schläger 90 Grad abgewinkelt sein, die Schultern sind ca. 60 Grad gedreht, der Kopf folgt leicht der Bewegung. Der Schaft befindet sich immer noch in der gleichen Schrägposition wie am Anfang. Ebenso steht der Körper im gleichen Winkel zum Boden und die Beine bleiben leicht gebeugt.
Neutraler Golfschwung – Position 3: Der höchste Punkt
Im höchsten Punkt des Ausholens sollte sich der Schläger fast parallel zum Boden befinden. Die Hüften sind ca. 45 bis 50 Grad aufgedreht, denn nur dann kann eine Schultergürteldrehung von ca. 90 bis 95 Grad erreicht werden.
Viele Spieler sind dem Irrglauben verfallen, dass der Kopf komplett still gehalten werden müsste, da sie top ausgebildeten Athelten wie Rory McIlroy (Foto oben) und Co. nachzueifern suchen. Das ist ist nicht nur falsch, sondern auch ungesund! Wer neben dem Golfsport Zeit und Muße besitzt sich wie Bernhard Langer zwei Stunden am Tag dem Stretching zu widmen, kann seine Gelenke und Bänder hohen Extensionen aussetzen. Ansonsten gilt: Der Kopf darf ca. 25 Grad seitlich mitgedreht werden – so werden außerdem Problemen in der Halswirbelsäule vermieden.
Der linke Arm sollte zwar möglichst gestreckt sein, muss aber nicht krampfhaft gerade sein. Alles mit Maßen! Von der Seite (Foto oben) ist erkennbar, dass der Körper seinen Winkel vom Set-Up her nicht verändert hat. Der Schlägerkopf zeigt etwas links vom Ziel, was in dieser Position korrekt ist. Beide Ellenbogen sind auf einer Höhe, und der linke Arm befindet sich parallel zur der ursprünglichen Lage des Schafts.
Neutraler Golfschwung – Position 4: Schläger im Abschwung parallel
Vom höchsten Punkt aus kommt es auf die richtige Reihenfolge der Bewegungen im Abschwung an. Viele Spieler glauben, der Durchschwung erfolge nach unten, wobei die rechte Schulter die Umkehrung von Rück- zu Durchschwung einleitet. Aber auch das ist ein Irrtum! Das Herabschwingen beginnt mit einem Abstoßen aus dem rechten Bein heraus und mündet in die Rotation der linken Hüfte. Diese Bewegung zieht die Arme hinterher. Sind die Handgelenke locker, bleibt der Schläger noch weiter zurück – ein echter Powermove.
Als Vergleich zu Rory McIlroy die „neutrale“ Schwungposition von Stefan Quirmbach:
Auf dem Foto oben ist zu sehen, dass Stefan Quimrbach das rechte Bein schon leicht entlastet hat und seine Hände sich über dem Ball befinden, der Schlägerkopf aber noch vom Ball entfernt ist. Aus Zielsicht ist gut erkennbar, wie weit die linke Hüfte schon vorgedreht ist und der Körper sich immer noch im gleichen Winkel befindet wie am Anfang.
Neutraler Golfschwung – Position 5: Treffmoment
Der wichtigste Moment des ganzen Schwungs natürlich der Impact – auf Deutsch Treffmoment. Hier wird die gesamte Energie auf den Ball übertragen. Einer der bekanntesten und kraftvollsten Schwünge, der auch zu den schönsten gehört und der bisher noch nicht erwähnt wurde, ist der von Tiger Woods. Wer mehr über den Schwung von Tiger Woods erfahren möchte, liest am besten hier weiter.
Kraftvoll schwingt Tiger Woods durch den Ball und hat sein Gewicht auf das linke Bein verlagert. Von der Frontalansicht etwas besser zu erkennen am Beispiel von Stefan Quimrbachs Studioaufnahme:
Das Gewicht befindet sich auf dem linken Fuß, die Hände befinden sich etwas vorm Ball, wobei das rechte Handgelenk immer noch leicht gebeugt ist. Ansonsten gleicht das Impact-Foto größtenteils dem der Ansprechposition (vergleiche Position 1 ganz oben) – gleich einer Schablone: Der Kopf hat sich wieder in die Ausgangsposition zurückgedreht, die Hände sind wieder dort, wo sie in der Ansprechhaltung waren und auch der Schaft befindet sich in der gleichen Lage wie zum Beginn des Schwung. Doch im Unterschied zur Ansprechposition hat sich die rechte Ferse vom Boden gelöst und die linke Hüfte ist sehr weit vorgedreht.
Neutraler Golfschwung – Position 6: Zum Ziel drehen
Wenn die Körperdrehung und die Arme synchronisiert sind, schwingt alles nach dem Treffmoment weiter Richtung Ziel.
Es ist deutlich zu sehen, wie die Arme ausgestreckt werden, die Rotation des Körpersüber dem linken Bein in der Hüfte stattfindet und der Kopf der Schulterdrehung folgt.
Der Schlägerkopf wird dabei nicht aktiv mit den Händen gedreht, sondern folgt dem Schwung der Körperdrehung. Somit dreht der Körper immer weiter und die Arme schwingen nach oben.
Neutraler Golfschwung – Position 7: Das Finish
Nur wenn diese Endstellung erreicht wird und auch gehalten werden kann, war der Schwung gut.
Das Gewicht liegt komplett auf dem linken Fuß. der Körper ist aufrecht, sodass kein Druck auf der Lendenwirbelsäule liegt. Trotz der vollen Geschwindigkeit gleicht die Endstellung einer stabilen Figur. Gelingt ein balanciertes Finish, waren im Schwung alle Elemente synchronisiert.
Das Erreichen des Finishs – und eben nicht das Treffen des Balls – sollte das Ziel eines jeden Golfschwungs sein. Denn nur wer ein konstant gelungenes Finish hat, wird auch konstante Ballflüge produzieren können.