„Ich spiele maximal zwei Wochen am Stück, dann muss
Charley Hull
ich nach Hause.“
Heimweh und einfach nur nach Hause
Reisen sind nicht neu für Helen Briem. Als Spitzenamateurin, die es bis zur Nummer eins der Welt gebracht hat, war sie viel und häufig unterwegs. Das Pensum hat nach ihrem Wechsel ins Profilager zugenommen; es sind längere Turnierwochen, es sind intensivere Tage vor Ort, die Distanzen zu den Austragungsstätten sind weiter entfernt und der Druck ist anders. Als Profi geht’s um Bares. Ende Oktober stand für die 19-Jährige gemeinsam mit Vater Jochen, der als Caddie fungiert, der erste Trip nach Saudi-Arabien an. Für Familie Briem war es die Premiere bei den Aramco Team Series. Diese hoch dotierte Serie wird auf der europäischen Damentour weltweit fünf Mal (China, England, USA, Korea, Saudi-Arabien) im Jahr ausgespielt.
Im Team mit Patricia Isabel Schmidt, Sophie Witt sowie dem Amateur, einem Saudi aus der Kaffeeindustrie, holte Helen Briem den zweiten Platz, in der Einzelwertung (Siegerin Charley Hull aus England) wurde sie Vierte. Die Exkursion nach Riad war Neuland für die junge Dame. Da waren das Pro-Am (dürfte bald zur Regelmäßigkeit werden) und die langen Turniertage. Mit dem Hobbyspieler dauerte die Runde knapp sechs Stunden und die Finalrunde war auch nicht gerade ein Schnelldurchlauf. Prinzipiell ging es in der Dunkelheit auf die Anlage und zum Sonnenuntergang zurück ins Hotel. Noch ist das neue Leben spannend, aber wie sieht’s mit dem Befinden aus, wenn man mehrere Wochen von Turnier zu Turnier tingelt?
Heimweh
Wir fragten bei Charley Hull (28), Alison Lee (29/USA), Carlota Ciganda (34/ESP) und Patty Tavatanakit (25/THA) nach. Das sind vier vollkommen unterschiedliche Typen, sie kommen aus verschiedenen Kulturkreisen, von drei Kontinenten, die aber alle auf der Eliteliga LPGA Tour und zudem auf der Ladies European Tour (LET) agieren. Durch diese Doppelbelastung verbringen sie viel Zeit im Flugzeug und sind oft mehrere Wochen am Stück unterwegs. Die Engländerin Hull fällt durch ihr starkes Golf auf, zudem neigt sie zu schrillen Outfits und ist auch jemand, die eine starke Meinung vertritt. Seit elf Jahren ist sie im Profibusiness und hat für sich den optimalen Rhythmus entdeckt. »Ich spiele maximal zwei Wochen am Stück, dann muss ich nach Hause.« Um den Kopf freizubekommen, andere Dinge zu tun und zu denken. Und um mal andere Gesichter zu sehen.
Patty Tavatanakit zuckt bei diesen Aussagen fast zusammen. Saudi-Arabien, Ende Oktober, war ihr viertes Turnier am Stück. »Es gibt immer wieder Momente, da will man einfach nur nach Hause. In diesem Beruf ist es schwer, eine Routine zu entwickeln. In den letzten beiden Jahren hat es mehrmals den Moment gegeben, wo ich mir die Frage gestellt habe: Warum mache ich das eigentlich? Und ich war nah dran, hinzuschmeißen. Letztlich mache ich es als Job, und weil ich Erfolg haben möchte. Mittlerweile habe ich mir eine Timeline gesetzt – noch sieben bis zehn Jahre, dann werde ich was anderes angehen. Seit ich jung war, gibt es bei mir nur Golf.«
Vorbild Taylor Swift
Ein Wendepunkt gab es bei der Thailänderin, die seit fünf Jahren auf der Tour spielt, bei einem Konzertbesuch von Taylor Swift im Frühjahr 2023. Die amerikanische Popikone trat vom 2. bis 9. März sechs Mal in Singapur auf. »Taylor Swift muss doch auch manchmal an dem Punkt gewesen sein, wo sie keine Lust auf die Bühne hatte. Aber da draußen waren so viele Menschen, die sie einfach nicht enttäuschen möchte – also zog sie es professionell durch und lieferte.«
Tavatanakit hat dieses Vorgehen adaptiert. »Ich habe Taylor Swifts Verhalten in mein Mindset eingebaut. In Momenten, wo Zweifel aufkommen, sage ich: Ich habe eine Verantwortung gegenüber Fans, Zuschauern, Tour und Sponsoren.« Das Thema Tour-Leben ist sensibel und man merkt, spätestens bei gezielten Nachfragen, wie sehr es die Spielerinnen beschäftigt. »Als internationale Proette ist man stundenlang auf Achse, im Flieger, im Leihwagen, allein mit seinen zwei bis vier Koffern. Manchmal hat die Traurigkeit die Oberhand über dem Spaß. Da ist viel Enttäuschung dabei. Am Ende sind wir trotzdem alle da, weil wir gewinnen wollen«, fasst Alison Lee die Situation extrem nüchtern zusammen.
Souverän
Carlota Ciganda ist bereits 34 Jahre alt. Die Spanierin tingelt seit 13 Jahren um die Welt, sie hat 64 Majors gespielt, zwei Turniere auf der LPGA gewonnen und sieben auf der LET. Zudem wurde sie sieben Mal ins europäische Solheim-Cup-Team berufen. Ciganda steht für geballte Erfahrung. »Ich kann mich den Einschätzungen von Charley, Patty und Alison anschließen. Was ich jedoch anmerken muss, ist die glückliche Situation, mein eigener Boss zu sein. Mir gefällt das Leben als Profi-Golferin, auch wenn es für mich nach 13 Jahren auf der Tour jedes Jahr härter wird. Es gibt diese Momente, da will man einfach nur noch heim. Am Ende überwiegen die positiven Aspekte, die dieser Beruf mit sich bringt.«
Für Helen Briem hat die lange Reise und das Tour-Leben erst im Herbst 2024 so richtig begonnen. Man darf gespannt sein, wie sie mit den Strapazen in Zukunft umgehen wird, denn 2025 steht für sie die erste volle Saison als Profi an. Am Ende, das haben Hull, Tavatanakit, Lee und Ciganda zwischen den Zeilen durchblicken lassen, ist alles recht angenehm und einfach, wenn es auf dem Platz läuft und die Ergebnisse stimmen.
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