Von Stefan Maiwald
Fast elf Jahre oder 3.942 Tage ohne Titel: Die Karriere des Matteo Manassero schien längst gelaufen zu sein. Er war eines dieser hoffnungsvollen Talente, die ihren Zenit schon mit 19 erreicht hatten – im Golfsport sehr selten, deswegen umso bemerkenswerter.
Seine Leistungen von damals stellten sogar die eines jungen Tiger Woods in den Schatten. Gerade 13 geworden und noch mehr Kind als Jugendlicher, erhielt der Italiener 2006 eine Wildcard für die Challenge Tour in seinem Heimatclub Gardagolf. Er verpasste den Cut, spielte aber auf dem knüppelharten Tour-Setup respektable Runden von 75 und 76. »Da kam dieser kleine Kerl, schlug den Drive gerade mal hundertneunzig Meter, aber machte überhaupt keine Fehler«, erinnert sich der deutsche Tour-Pro Marcel Haremza, der zwei Runden mit ihm im Flight spielte. »Der hatte eine große Zukunft vor sich, das haben wir alle gesehen.«
Viel Potential
Matteo Manassero war ein Versprechen. Aber was dann passierte, hätte sich niemand träumen lassen: Mit 16 Jahren wurde er jüngster Gewinner der British Amateur Championship und durfte dafür an der Open Championship 2009 teilnehmen, wo er nicht nur den Cut schaffte, sondern sogar Dreizehnter wurde und den größeren Teil der Weltelite hinter sich ließ. Ein Dreivierteljahr später wurde Matteo, der die Amateur-Weltrangliste anführte, mit 16 Jahren, 11 Monaten und 22 Tagen der jüngste Spieler, der je den Cut beim Masters 2010 schaffte.
Danach wechselte er ins Profilager und feierte im Oktober des gleichen Jahres seinen ersten Sieg beim Castelló Masters in Spanien – der jüngste Sieger überhaupt auf der European Tour. Ein paar Wochen später wurde er bei der UBS Hongkong Open Zweiter hinter Ian Poulter.
Und so ging es munter weiter: Im April 2011 holte er sich, immer noch 17-jährig, bei der Maybank Malaysian Open seinen zweiten Titel, 2012 siegte er bei der Barclays Singapore Open, schaffte noch einen zweiten Platz und weitere fünf Top-Ten-Plätze; die Order of Merit beendete er auf Platz dreizehn. 2013 kam dann Matteos größter Triumph: Der Sieg bei der BMW PGA Championship, dem wichtigsten Turnier der European Tour. Er setzte sich in einem dramatischen Stechen am vierten Extraloch mit einem Birdie gegen Simon Khan und Marc Warren durch. Auf der finalen Order of Merit landete er auf Rang elf, in der Weltrangliste kletterte er auf Position 25.
Golf als Spiel
Golf war für ihn wie Playstation, ein Spiel, das er völlig ungezwungen und ohne Druck spielte. Er ging es im besten Sinne kindlich an. Selbst im heiligen Augusta lief er lachend über die manikürten Fairways.
Doch dann, ganz plötzlich, kam das Erwachsenwerden. Das Begreifen ums Geleistete. Und der Blick in die Zukunft. Sorgen. Erste düstere Gedanken. Die Sponsoren drängelten, die Medien sowieso. Matteo fühlte sich eingeengt. Kein Platz mehr zum Spielen. Es ging plötzlich um Geld, Termine, Verpflichtungen. Stress. Große Firmen wie Ferrero und Callaway machten ihn zum Werbebotschafter. Er hatte beinahe jede Woche ein Event. Interviews. Fototermine. Premieren und Vernissagen und Jubiläen. Alle wollten ihn.
Wer wäre mit 17, 18 Jahren nicht überfordert, plötzlich auf den Titelseiten zu stehen – und im Rampenlicht jedes Turniers? Begabte Fußballer in jenem Alter haben immerhin noch eine Mannschaft, in der sie sich manchmal verstecken können, wenn es nicht so läuft. Golfer sind Einzelkämpfer und stehen einsam auf einer großen grünen Präsentierfläche. Das ist noch einmal eine ganz andere Herausforderung.
Eine Überforderung?
Aber auch das Management konnte mit dem Ruhm und den vielen Anfragen nicht umgehen. Komm doch mal hierher zum fünfzigsten Geburtstag unseres Clubs, veranstalte doch hier mal was für Kinder. Matteo wollte die Fans nicht enttäuschen und sagte viel zu oft: »Ja«. Er kommt aus sehr gutem Haus, er war ein höflicher, wohlerzogener Junge. Und ließ sich zu allerlei Quatsch überreden. Das Training litt, und auch mental wurde es immer anstrengender.
Dennoch: Matteo blieb dran, hatte nach wie vor Biss und Ehrgeiz. Er hielt eine strikte Diät, verlor seinen Babyspeck und ging ins Gym, um länger zu werden. Denn er sah, dass die Konkurrenz ihn regelmäßig ausdrivte.
Bei manchen klappt die Jagd nach mehr Metern. Bei manchen nicht. Major-Champion Ian Baker-Finch bastelte so heftig an seinem Schwung, dass er seine Karriere beenden musste. Auch Matteo schien kurz vor dem letzten Vorhang: Als nach vielen harten Monaten seine Schwungumstellung überhaupt nichts brachte, wollte er zurückkehren zum alten Schwung, aber auch der funktionierte nicht mehr.
War er früher kurz und präzise, war er nun kurz und krumm. All sein überbordendes Talent reichte nicht mehr, um in die Wochenenden zu kommen, es folgte ein bitterer Abstieg, er taumelte bis in die dritte Liga, die in Italien Alps Tour heißt – und selbst dort musste er sich 78er-Runden notieren. Es war kaum mitanzusehen. Im Jahr 2016 sprach Matteo Manassero von »dunklen Stunden«. Man musste sich ernsthaft Sorgen machen, nicht nur ums Sportliche.
Das Rückkehr-Rezept
They never come back, heißt es von besiegten Boxern und Kinderstars. Und es sah lange nicht so aus, als würde Matteo die Ausnahme von der Regel bilden. Doch dann, im Jahr 2020, ließ er aufhorchen: Es war nur ein Sieg auf der Alps Tour, aber immerhin. Ein paar Experten schauten genauer hin. Dann gelang ihm der Aufstieg auf die Challenge Tour. Dort siegte er 2023 gleich zwei Mal – er durfte wieder in der ersten Liga antreten.
Was war geschehen? Er hatte mehrere radikale Schritte unternommen. Als erstes trennte er sich von seinem langjährigen Coach Alberto Binaghi – was, so fanden Insider, viel früher hätte erfolgen müssen. Aber, wie bereits erwähnt, Matteo Manassero ist ein höflicher Mensch, der alte Weggefährten nicht einfach über die Klinge springen lässt. Wen er nicht aufgab, ist sein Caddie Job Sugraynes, der auch in den schwersten Momenten zu ihm hielt und selbst auf der Alps Tour für eine warme Mahlzeit sein Bag trug. Seitdem wird er von Søren Hansen gecoacht, dem ehemaligen Tour-Spieler, ein ganz ruhiger Zeitgenosse und von der Spielweise ähnlich veranlagt. Die beiden harmonierten von Anfang an gut. Das Comeback ist auch ein Verdienst des Dänen.
Neues Erleben
Außerdem zog er zurück nach Verona, nah zu seinen Eltern. Er ist Familienmensch, er mag Harmonie. Er ordnete sein Leben neu: Seit 2016 ist er mit Francesca verheiratet, beim Mental-Coach Alessandra Averna holt er sich die nötige Motivation, es gibt auch noch einen Putting- und einen Fitness-Trainer. Statt auf den edlen Plätzen rund um Mailand und Turin trainiert Matteo jetzt wieder in Gardagolf, seinem Heimatplatz, ganz nah bei der famiglia. Und dass Gardagolf als Trainingsplatz genügend Herausforderungen auch für Tour-Spieler bietet, hat auch so mancher deutsche Golftourist leidvoll erfahren müssen; der Platz ist schließlich in der Zahl der verkauften Greenfees an Deutsche die Nummer eins in Italien.
»Ich habe nie daran gedacht, aufzugeben, und dafür muss ich meinem Umfeld danken«, sagt Matteo. Das Geheimnis? »Du musst dich immer darauf konzentrieren, besser zu werden. Du musst den Prozess bis dahin lieben. Denn das ist ohnehin das einzige, was du als Athlet beeinflussen kannst.«
Als Matteo Manassero im März 2024 die Jonsson Workwear Open auf der DP World Tour gewann, flossen viele Tränen. Nicht nur bei ihm und seiner Familie, sondern auch bei dem einen oder anderen neutralen Beobachter. »Das ist der schönste Tag, den ich je auf dem Golfplatz erlebt habe«, stammelte der Italiener sichtlich mitgenommen.
Er war ganz oben und ganz unten. Jetzt, nach mehr als zehn Jahren, ist er wieder da. Und er denkt gar nicht daran, es ruhiger angehen zu lassen. Das nächste Ziel: Olympia in Paris in diesem Sommer.
Und jede Wette: Auch viele Nicht-Italiener würden ihm eine Medaille gönnen.
Die längsten Durststrecken
PGA Tour
Robert Gamez, 15 Jahre, sechs Monate (5.663 Tage)
Arnold Palmer Invitational 1990 bis Valero Texas Open 2005.
Butch Baird, 15 Jahre, 5 Monate (5.642 Tage)
Waco Turner Open 1961 bis San Antonio Texas Open 1976.
Ed Fiori, 14 Jahre, neun Monate (5.355 Tage)
Bob Hope Desert Classic 1982 bis Quad Cities Classic 1996.
Aktive: Stewart Cink, 11 Jahre, zwei Monate (4.074 Tage)
Open Championship 2009 bis Safeway Open 2020.
European Tour/DP World Tour
Ross McGowan, 11 Jahre, sieben Monate (4.234 Tage)
Madrid Masters 2009 bis Italian Open 2020.
Matteo Manassero, 10 Jahre, acht Monate (3.942 Tage)
BMW Championship 2013 bis Jonsson Workwear Open 2024.