– Ein Kommentar von Carl-Clemens Andresen, GVNB-Vizepräsident und Vorstand Sport
Umstellung auf das World Handicap System
Ende November werden die letzten Scores für die Berechnung des Handicaps von den Clubsekretariaten entgegen genommen. Dann beginnt die Umstellung auf das neue World Handicap System (WHS). Es ist zu erwarten, dass die deutschen Golferinnen und Golfer eine Weile brauchen werden, um sich mit den terminologischen Neuheiten und mathematischen Besonderheiten des neuen Systems vertraut zu machen. Die größere Umstellung wird vermutlich aber jene auf die Philosophie sein, die hinter dem neuen World Handicap System (WHS) steht. Diese wurde nämlich aus dem in den USA etablierten Handicap-System übernommen. Diesem liegt eine viel „entspanntere“ Umgangsweise mit dem eigenen Handicap zugrunde, als es in Deutschland mit dem EGA-System der Fall ist.
In freier Prosa ausgedrückt lautet diese amerikanische Philosophie: „Dein Handicap ist deine Privatsache. Sei aber ein fairer Sportsmann und führe ein realistisches Handicap, sonst betrügst du dich und auch andere.“ Die Voraussetzungen zum Führen des Handicaps sind folgerichtig sehr niedrigschwellig: „Go play – and don’t forget to post your score after you’ve finished!“
Die besten der letzten 20 Runden
Die Golferin oder der Golfer sorgt also nach seiner Privatrunde selbstständig dafür, dass sie den Score an die das Handicap führende Stelle übermitteln. Er soll sein Rundenergebnis noch am selben Tag einreichen. Die besten 10 der letzten 20 Rundenergebnisse bilden dann die Basis für die Berechnung deines aktuellen Handicaps. Also ist keine vorherige Anmeldung der Runde im Sekretariat mit anschließender Pflicht zum Einreichen der Scorecard erforderlich.
Als 2017 im Vorgriff auf die Einführung des World Handicap System die aus dem EGA-System kommende Bedingung eingeführt wurde, dass bei der Privatrunde noch eine zweite Person (notabene: kein „Zähler“) anwesend sein muss, gab es einen Aufschrei der Entrüstung in den USA. Unterstellte doch die neue Bestimmung, Golfer würden mogeln.
Genau diese Unterstellung schwingt jedoch beim deutschen EGA-Handicap-System mit. Hier mussten GolferInnen bislang die EDS-Runde vor Antritt registrieren. Der Begleiter war der Zähler, das Ergebnis musste zwingend eingereicht werden. Ansonsten gab es den Vermerk „no return“ mit der Folge der Verschlechterung des Handicaps um ein Zehntel. Teile dieser Kultur der Kontrolle werden auch bei der Einführung des WHS im nächsten Jahr wirksam. Zum Beispiel, wenn unter Registrierung einer Privatrunde verstanden wird, dass diese vorab anzumelden ist und nicht nachher (wie in den USA).
World Handicyp System ein Clash of Cultures
Der „Clash of Cultures“, der nun droht, wird bei dem einen oder anderen für Empörung sorgen. Und es gibt gute Gründe dafür, diese Empörung ernst zu nehmen. Werden doch sportliche Leistungen über einen Leisten geschoren, die bei unterschiedlichen Voraussetzungen erbracht wurden. Hier die private 9-Löcher-Runde mit dem Kumpel auf dem Heimatplatz. Dort die DGL-Runde über 18 Bahnen auf dem hoch kompetitiven Championship Course beim Bundesliga-Konkurrenten. Unbestritten, das sind Schieflagen, die auch nicht durch Course-Adjustment-Verrechnungen ausgeglichen werden können. Man wird sich daher in Deutschland davon verabschieden müssen, das Handicap als Kriterium für die Qualifikation bei Wettbewerben oder bei der Berufung in Teams zu nutzen. Im Leistungssport oder in der Welt der Professionals ist das Wort „Handicap“ ohnehin unbekannt. Stehen dort doch Ranglisten, Qualifikationsturniere oder wie in den USA das College-Golf-System Pate bei der (zum Teil gnadenlosen) Bestenauslese.
Wir sollten parallel zur Einführung des WHS gegenüber dem Handicap ein wenig mehr amerikanische Gelassenheit an den Tag legen. DGV-Präsident Claus Kobold hat daher Recht, wenn er davon spricht, dass wir in Deutschland davon wegkommen müssten, das Handicap als Statussymbol zu betrachten. Das Handicap dient künftig bei Privatrunden oder Breitensport-Turnieren dazu, Spielerinnen und Spieler mit ungleicher Spielqualität miteinander wetteifern und ins Verhältnis setzen zu lassen. Das war sein ursprünglicher Zweck und zu diesem kehrt es jetzt wieder zurück.
Im achtmal jährlich erscheinenden Golf Club-Magazin der Region Niedersachsen Bremen schreibt Carl-Clemens Andresen in der Kolumne „Pitch aus dem Rough“ informative Kommentare zu aktuellen Themen. Diese Kolumne erschien in der Ausgabe 8/2020 des Golf Club Magazins.