Alle reden drüber, viele haben es auch schon gemacht und kommen von einem Fitting mit einem frischen Schlägersatz und einem bunten Strauß wilder Fachtermini wieder. Doch was bei einem Schläger-Fitting genau passiert, können nur die wenigsten korrekt wiedergeben.
Um mich auch mal »Markenneutral«, also unabhängig von einem bestimmten Hersteller, fitten zu lassen, fahre ich ins tiefste Niedersachsen nach Nienburg an der Weser. Dort treffe ich mit Martin Stecher einen der Top-Fitter Deutschlands, der mittlerweile das GM-Team als Equipment-Experte unterstützt.
In einer vermeintlich unscheinbaren Lagerhalle befindet sich Martin Stechers ganz persönliches Golf-Techi-Eldorado – mit Abschlagbox, Putting-Grün, verschiedenen Launch-Monitor-Systemen, Swing-Catalyst, Gears Golf 3D-System, 3D-Kraftmessplatten, über ein Dutzend Kameras, über 1.000 verschiedenen Schäften, unzähligen Schlägerkopfmodellen fast sämtlicher großer Schlägermarken, und, und, und.
Grundsätzlich gibt es verschiedene Fittings: Eisen-, Hölzer- und Driver-, Wedge- und Putter-Fitting. Mir geht es um ein Eisen-Fitting, da ich mein zwölf Jahre altes Equipment gerne austauschen möchte.
Nach einem Vorgespräch, in dem ich mich »oute«, was ich für ein Spielertyp bin, wie oft ich trainiere und wohin meine Fehlschläge gehen, geht’s mir im wahrsten Sinne des Wortes an den Kragen.
Wie läuft ein Golf Fitting ab? Schritt-für-Schritt-Erklärung
- Vorab: rechtzeitige Reservierung (oftmals mit monatelanger Wartezeit)
- Fitter-Spieler-Gespräch u.a. über Trainingsfleiß, Spielniveau, typischem Ballflug, Stärken und Schwächen.
- Statische Vermessung des Körpers.
- Statische Vermessung der eigenen Schläger.
- Kurzes Warm-Up
- Dynamische Analyse: Bewertung des Ist-Zustands am Launch-Monitor, Video- und 3D-System mit eigenen Schlägern.
- Gegebenenfalls weiteres Dynamisches Fitting mittels Schaft-Optimizer & Co.
- Test und Vergleich verschiedener Schäfte und Schlägerköpfe.
- Subjektiven »Testsieger« extrahieren und mit objektiven Daten vergleichen.
- Absprache der optischen Individualisierungsmöglichkeiten.
Welche Faktoren werden beim Golf Fitting gemessen?
Denn so ein umfangreiches Schlägerfitting setzt sich aus zwei Komponenten zusammen: dem statischen und dem dynamischem Fitting. Beim statischen Fitting geht es in erster Linie um die jeweiligen körperlichen Voraussetzungen, um einen Ball möglichst ideal zu schlagen. Dazu werden die Körpermaße und auch die Werte des bisherigen Schlägermaterials bestimmt.
Bei mir werden vermessen: die Größe, die Spannweite der Arme, die Schulterbreite, der Abstand der Handgelenke zum Boden, die Länge der Ober- und Unterarme und die Länge der Hände und Finger. Diese Daten geben interessante Informationen darüber preis, wie viel Potential anatomisch in einem steckt. Zusätzlich wird auch noch die Zugkraft in den Fingern gemessen. »Oh, das ist ordentlich«, kommentiert Martin Stecher erstaunt, während ich wie eine Verrückte die Finger meiner linken Hand beim Messen der Griffkraft weiß anlaufen lasse. »Du hast links mehr Power als rechts«, lautet das Fazit des Fachmann. Nach Evaluation aller Daten darf ich theoretisch auf mehr Schlaglänge hoffen. Trotz meiner »mickrigen« Körpergröße von 1,64 Metern lauern in mir also noch unausgeschöpfte Kraftreserven. So viel zur Theorie.
Los geht’s mit dem Bälle schlagen – und zwar mit den eigenen Schlägern. Denn so wie alte Laufschuhe Informationen über den Laufstil preisgeben, verraten die alten Schläger viel über den Schwung und das Schwungverhalten. Somit wird auch mein bisheriger Schlägersatz genau vermessen, von Schaftlänge bis Griffstärke, Loft, Lie und Schaftfrequenz.
Das passiert beim dynamischen Fitting
Es gilt als überholt, sich beim Fitting ausschließlich auf die statisch ermittelten Messwerte zu verlassen. Daher wird mittlerweile viel Indoor gefittet. Zum einen, um die möglichen Fehlerquellen wie Wind, Temperatur, Qualität der Rangebälle und dem zu starken Fokus auf das Schlagergebnis auszumerzen. Zum anderen gibt es in Indoor-Anlagen viel mehr technische Optionen dank ausgefeilter Kamera- und Radarsysteme, die den Ballflug detailgetreu aufzeichnen. Beim dynamischen Custom-Schlägerfitting geht es primär um die Schwunganalyse, um so das zukünftige Schlägerequipment dem vorhandenen Schwungbild anzupassen. Hier kommen die ganzen High-Tech-Gadgets der Stecherschen Daniel-Düsentrieb-Zentrale zum Einsatz.
»Kamerascheu sollte man nicht sein«, mahnt Martin Stecher grinsend, bevor ich ein paar Mal den Schläger schwinge und auf mindestens drei Monitoren gleichzeitig zu sehen bin. Ein bisschen aufgeregt bin ich nun doch. Die zusätzlichen Kameras liefern Informationen über Körperbewegung, Kraftübertragung, exakten Ballflug und vielem mehr.
Während ich mit meinem eigenen Equipment schlage, sammelt Martin sämtliche Schwungdaten, wie Schlaglänge, Eintreffwinkel, Schwungbahn, Gewichtsverlagerung, etc. Klar wird: Bei einem modernen, dynamischen Fitting ist extrem viel Technik nötig.
Fitting für Driver, Eisen & Putter – Was du wissen musst
Schließlich tausche ich meinen Schläger mit dem »Schaft-Optimizer« aus, der in 3D genau verrät, was ich mit dem Schläger im Schwung mache. Dabei geht es nicht um den Treffmoment, sondern wie dieser Treffmoment entsteht, wie der Tempoübergang von Rück- zu Durchschwung ist, wann und wie und wo sich der Schaft biegt, etc. Aus diesen Daten wird dann ein Schaftprofil extrahiert, das zum eigenen Körper und Schwung passt. Und oftmals ist das Ergebnis ein anders, als es zunächst den Anschein hat. Denn nicht jede Frau benötigt einen Damenschaft und nicht jeder Senior einen Seniorenschaft. »Man darf Menschen nicht in Schubladen stecken. Das sehe ich Tag für Tag. Ich habe schon Stahlschäfte für Senioren gefittet oder sehr weiche Schäfte für athletische junge Menschen«, berichtet Martin Stecher.
Dann muss ich einen für mich »wild« aussehenden Schläger mit sechs optischen Markern schlagen. Dieser ist mit acht Kameras gekoppelt und verrät, wie, wo und wann sich der Schläger bewegt. »Das System misst auf 0,1 Millimeter und 0,2 Grad genau«, sagt Martin Stecher. Wow. Ich bin tatsächlich in der Matrix angekommen.
Unter Berücksichtigung der bisher ermittelten Daten darf ich testen und drei Bälle pro Schlägeralternative schlagen. Mit verschiedenen Schlägerköpfen und Schäften. Es gibt unendliche Kombinationsmöglichkeiten. Vor allem bei den Schäften, bei denen Gewicht, Flex und Torque zu beachten sind, unterscheiden sich die Hersteller stark. Trickreich, denn so kann man sich als Nicht-Fachfrau kaum darauf verlassen, was nun ein echter S-, R- oder Senior-Flex ist. Es gibt zahlreiche Kombinationen aber, um eine Informationsüberflutung und Erschöpfung zu vermeiden, verlasse ich mich auf den Durchblick des Fitting-Experten Stecher.
Golf Fitting für Anfänger: Wann lohnt es sich?
Ein Custom Fitting ist nicht nur für Profis oder exzellente Amateure sinnvoll. Jeder Körper ist anders und jeder Schwung trägt eine eigene Handschrift. Equipment-Optimierungen können vor allem bei Handicap-Spielern der mittleren und höheren Spielvorgaben erzielt werden. Das soll jetzt nicht bedeuten, dass jeder Golfanfänger direkt zum nächsten Fitting-Experten laufen sollte, aber falls man bereits seit ein paar Jahren regelmäßig spielt und das Gefühl hat, dass die eigenen Schläger nicht mehr zu einem passen, kann an dieser Stellschraube bestimmt optimiert werden. Auch dank neuer Technologien bringt neues Equipment oftmals mehr Schlaglänge. Sind die Schläger richtig angepasst, kommen sie dem individuellen Schwung entgegen und verhelfen so mitunter zu geraderen Schlägen – und darüber freut sich doch jeder.
Wurden ein oder mehrere geeignete Varianten gefunden, geht es zur Unterscheidung und Auswertung der Analyse. In Abwägung von Optik, Preis – und bei mir ganz viel Bauchgefühl – findet man dann seinen (perfekten) Schläger.