Es passiert ja nicht alle Tage, dass man als GM-Redakteur mit Menschen auf die Runde geht, die Golf auf einem Niveau ausüben, das sprachlos macht. In meinem Fall war das beim Ping Product-Launch 2025 in Scottsdale auf dem Raptor Course des Grayhawk GC. Der Name des Mitspielers: James Tait, Schotte und einer der besten Longhitter der Welt.
Da kracht’s
Da standen wir also am ersten Tee. Mit dabei Dan, ein Equipment-Experte aus England (ein solider Single-Handicapper, der auch gerne viel quasselt). Dann Travis Milleman: Der Amerikaner würde in jeder US-Serie die Rolle des Schwiegersohnes bekommen – gestylt von Kopf bis Fuß, durchtrainiert, 1,85 Meter groß mit perfekter Frisur, smart und einem intensiven Lächeln. Gut, bei dem Weiß der Zähne hatte der Bleaching-Experte erkennbar nachgeholfen. Im Hauptberuf ist Travis Ingenieur bei Ping und spielt Handicap -4. Um so eine Position bei dem Schlägerhersteller zu bekleiden, ist der Abschluss einer renommierten Universität ebenso Voraussetzung wie der Nachweis, mindestens Scratch-Golfer zu sein. Notiert Milleman nach 18 Löchern eine Par-Runde, war’s für ihn ein gebrauchter Tag.
Ein ziemlicher Schrank
Neben ihm, noch gute fünf Zentimeter größer, stand James Tait. Ein Prackl (bayrisch für Hüne) aus Schottland mit Wohnort St. Andrews, der sich gerne auf YouTube präsentiert, nebenbei Equipment für ein englischsprachiges Magazin bespricht und im Hauptberuf an Longhitter-Wettbewerben teilnimmt. Komplettiert wurde die illustre Gruppe mit mir, 56 Jahre alt, eher Wenig-Spieler und von der Einstelligkeit im Handicap wird nicht mal mehr geträumt.
Rumms auf der Eins
Höflich wie meine Mitspieler waren, hatte ich als ältester Akteur die Ehre. Der Ball flog vernünftig und trudelte in sicherem Abstand zum Fairwaybunker aus. Dafür gab ich mir auf der Skala von 1 bis 10 eine gute 8. Der Engländer jagte die Kugel im Flug am Bunker vorbei und lächelte. Travis kam dran und platzierte den Drive mit einem bewussten Fade in die Mitte des Fairways. Seinen Auftakthieb auf dem 380 Yards langen Par 4 schätzte er auf um die 280 Yards. Beeindruckend.
Fehlte also noch James. Bei seinen Probeschwüngen zischte es in einer Lautstärke wie ich es noch nie gehört habe. Mir fiel das Wort Brachialgewalt ein und ich machte mir Sorgen wie das Ball und Driver schadlos überstehen sollten. Der schottische Longhitter setzte an (den Schwung zu kopieren würde bei mir gesundheitliche Schäden verursachen), holte aus und drosch auf die kleine weiße Kugel. Wohin? Keine Ahnung. Mir war zu dem Zeitpunkt nicht bewusst, in welchen Kurven und in welcher Höhe ein Mensch den Ball bewegen kann. Travis, der ja schon weit schlägt und ein geschultes Auge besitzt, zuckte leicht und kommentierte das Ergebnis mit einem anerkennenden »Wow«. Der Haudrauf selbst nickte nur, nach dem Motto: Job erledigt. Es entstand diese Situation zwischen Herrchen (James) und Hund (meine Wenigkeit). »Ja, such das Balli, ja, wo ist denn das Balli?« Nachdem ich meinen dritten Schlag ordentlich auf dem Grün platziert hatte, entdeckte ich eine weitere Kugel im Vorgrün.
Tait steuerte selbstbewusst darauf zu und erkundete das Terrain. Wie bitte? Das waren meiner Einschätzung nach gute 350 Yards, um postwendend korrigiert zu werden. »361«, vermerkte James. Das war unheimlich, der Typ kann doch nicht von dieser Welt sein. Im Kopf rechnete ich den Unterschied unserer beiden Drives aus und fand es amüsant. Tait ist, wie erwähnt ein professioneller Longhitter. Sein Rekord liegt bei 452 Yards, umgerechnet 413 Meter, und mit dieser Weite liegt er auf Rang drei der Welt.
Die 400 Yards geknackt
An diesem Vormittag hantierte er mit dem neuen Ping G440 und einem Schaft, der bei diesen extremen Geschwindigkeiten funktioniert. Mit der Zeit hatten sich meine Augen an die Höhen von James’ Ballflug gewöhnt. Es war schlichtweg beeindruckend und ich durfte live dabei sein, wie der Ball einmal die 400 Yards Marke knackte. Aber bei allem Staunen hat dieses Golfspiel auch seine Tücken. Wenn er mal einen Ball »wegwedelt« (so nennt Marcel Siem verzogene Drives), dann waren die Auswirkungen mitunter fatal. Das eine Mal kam der Schotte glimpflich davon, weil der Ball ca. 150 Meter nach rechts über Bäume auf die andere Spielbahn sauste. Von da ging’s einfach weiter, da er die Höhe hat, um nahezu alles zu überwinden. Richtig angsteinflößend war dagegen einer seiner Hooks. Der zischte in einer beachtlichen Geschwindigkeit über die Kakteen, über die Dächer der angrenzenden Villen und landete mit einem dumpfen Geräusch irgendwo. Wo genau, konnten wir nicht herausfinden. Auf Loch 17, einem Par 4 (301 Yards) mit dem Namen Bagger Pass, präsentierte uns Tait seinen Umgang mit den Eisen. Das Eisen 4 landete auf dem Grün – 281 Yards. Noch Fragen?
Er kann verdammt weit und auch verdammt weit aus der Bahn. So ein Golf eine Runde zu begleiten, das war ein Erlebnis. Am nächsten Tag traf sich die Gruppe nochmals im Indoor-Testcenter bei Ping. Natürlich wurde Tait gebeten, für die Datenerhebung ordentlich auf die Kugel zu zimmern. Nach Aufwärmen und einigen lockeren Schwüngen gab er richtig Gas. Seine Schlägerkopfgeschwindigkeit war reihenweise über 150 mp/h, einmal auch über 155 mp/h. Am Ende reichte es für den Longhitter ganz knapp nicht, um den Raum als Rekordhalter zu verlassen und im Ping-System als Nummer eins verewigt zu werden. Die Bestmarke stammt von Martin Borgmeier, dem Longdrive-Weltmeister von 2022. Ausgerechnet ein Erzrivale von Tait.