Über eine der größten Stunden seiner Karriere sagte Martin Kaymer einmal in einem Interview, sie sei gleichzeitig einer der bittersten Momente gewesen. Als er 2011 zur Nummer eins der Welt aufstieg, saß der damals 26-Jährige allein in einem Café in Scottsdale. Auf seinem Smartphone betrachtete er das Ranking, das ihn nun an der Spitze führte und als Besten seiner Branche auswies. „Immer wieder habe ich auf Aktualisieren gedrückt. Als ich mich dann endlich ganz oben auf der Liste sah, da habe ich mich so leer gefühlt“, gestand Kaymer. „Ich saß da ganz allein in diesem Café mit diesem Erfolg, das war auch traurig irgendwie.“
Dass Spitzensportler bei weitem nicht nur sportliche Herausforderungen zu meistern haben, ist bekannt. Skisprungstar Sven Hannawald, Tennislegende Andre Agassi, Schwimm-Ass Britta Steffen – sie alle gaben schon tiefe Einblicke in ihr Seelenleben und klagten über Schattenseiten der eigenen Sternstunden. Höhenflüge zu meistern ist zuweilen ähnlich anspruchsvoll wie die Gier nach Erfolgen nicht zu verlieren, den Antrieb, sich jeden Tag stetig weiter zu verbessern und in der oft zehrenden Monotonie des Trainingsalltags immer neue Reize zu setzen und Ziele zu finden. Das Verhalten unter Druck selektiert die Besten von den Allerbesten, ebenso wie das Handling von Formkrisen, ob kurzzeitig oder chronisch. Die Erinnerungen daran, als Champion seinen Sport dominiert zu haben und die Zeit der größten Triumphe gleichzeitig noch greifbar nah zu spüren und doch unerreichbar fern zu wissen, können einen Profi innerlich zerreißen.
„Der Deutsche mit der ruhigen Hand“
Martin Kaymer kennt all diese Situationen. Er stand ganz oben und ganz unten. Als er 2010 bei der PGA Championship triumphierte wurde er zum ersten deutschen Major-Sieger seit Bernhard Langer 1993. Er gewann im gleichen Jahr das „Race to Dubai“ und erhielt nebenbei die Auszeichnung zum „Golfer of the Year“ der European Tour. Beim Ryder Cup 2012 lochte er, extrem nervenstark, für Team Europe den entscheidenden Putt zum 14,5:13,5 Auswärtssieg ein. Da war er der „Deutsche mit der ruhigen Hand“ (Spiegel), der neue Star, der smart und selbstbewusst daherkam und weit über die Golfszene hinaus begeisterte. Ausgerechnet er, der bei öffentlichen Auftritten meist ein wenig zu glattgebügelt wirkt, galt plötzlich als der ideale Botschafter seines Sports.
Weltruhm in einer noch größeren Dimension erlangte Kaymer 2014. Als er nach durchwachsenen Jahren zunächst bei der Players Championship im TPC Sawgrass die Garcias, McIlroys, Furyks, Spieth‘ und Molinaris überragte und einige Wochen später bei der US Open in Pinehurst die versammelte Weltelite deklassierte und mit acht Schlägen Vorsprung gewann. Beim Ryder Cup in Gleneagles war er neben Rory McIlroy einer der Garanten für Europas dritten Erfolg in Serie.
„Mein Spiel fühlt sich nicht bedeutend schlechter an als zu meinen besten Zeiten“
Der 34-jährige Kaymer ist nach 14 Jahren Profigolf mit der Gefühlsskala in sämtlichen Extremen vertraut. Er musste inzwischen längst lernen, Ergebnisse zu akzeptieren, die von seinen eigenen Ansprüchen so weit entfernt liegen wie sein Geburtsort Mettmann von seiner zweiten Heimat Scottsdale, Arizona. Obwohl er stets betont, sein Spiel fühle sich nicht bedeutend schlechter an als zu seinen besten Zeiten, verpasste er 2018, in einer Saison, die auch von Verletzungen geprägt war, bei mehr als der Hälfte seiner Turnierstarts den Cut. „Durch die Verletzungen bin ich nie in den richtigen Rhythmus gekommen, weil ich nie genug Zeit hatte, intensiv zu trainieren. Da stand dann immer schon gleich wieder das nächste Turnier an“, sagte er dem GOLF MAGAZIN bei einem Treffen in England.
Letztes Major-Jahr für Kaymer?
Als Martin Kaymer am vergangenen Donnerstag im Augusta National Golf Club an der berühmten Magnolia Lane ins diesjährige Masters startete, wurde er als aktuelle Nummer 194 der PGA Weltrangliste geführt. Von den Titelfavoriten scheint er unzählige Drivelängen entfernt. 2019 könnte sein vorerst letzter Auftritt werden beim ersten Major des Jahres, denn im kommenden Jahr wäre er nur dann für die vier Major-Turniere sicher qualifiziert, sollte er sich bis dahin zurück unter die Top 50 der Welt schieben. Seine fünfjährige Spielberechtigung bei den größten Events der Tour, die er sich durch seinen Sieg bei der US Open 2014 – seinem bis heute letzten von insgesamt 22 Erfolgen – verdiente, verliert am Ende dieser Saison ihre Gültigkeit.
„Hier würde ich nicht spielen, wenn es ein normales Turnier wäre“
Die Vorbereitung auf das Highlight an der Washington Road in Augusta, wo neben Kaymer Urgestein Bernhard Langer zum bereits 36. Mal an den Start geht, verlief mit einer steigenden Formkurve. Bei der Valero Texas Open im TPC San Antonio landete er am Ende immerhin mit fünf Schlägen unter Par auf dem 42. Rang. In schwierigen Zeiten ist das ein Resultat, das als akzeptabel bewertet werden darf. Das Masters war für Kaymer allerdings noch nie ein Wohlfühlort, weil der Platz nicht zu seinem bevorzugten Spiel passt. „Augusta ist einfach nicht mein Ding. Hier würde ich nicht spielen, wenn es ein normales Turnier wäre“, hatte er im vergangenen Jahr zu Protokoll gegeben. Aber Augusta ist nun einmal nicht normal. Und vielleicht bleibt gerade deshalb ein Fünkchen Hoffnung auf ein Masters-Wunder, von denen Augusta seit 1934 schon etliche erlebt hat.