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Jon Rahm

Die Chancen standen gegen ihn. Denn kleine Fischerdörfer im Baskenland sind nicht gerade eine Kaderschmiede für Elitesportler. Auch die US-Colleges rissen sich nicht um den begabten Jungen; nur die Uni von San Francisco war an dem 17-jährigen Spanier zunächst interessiert, doch auch sie winkte schließlich ab – Budgetprobleme. Also beschloss Jon Rahm, zunächst ein Jahr in Madrid zu studieren.

Wer weiß, was dort aus seinem Golf geworden wäre, wenn sich nicht eines Tages die Arizona State University (ASU) gemeldet hätte. Denn deren Cheftrainer Tim Mickelson hatte einen Anruf von einem Kumpel des spanischen Golfverbandes bekommen. Mickelson, der kleine Bruder des berühmten Phil, analysierte die Ergebnisse des Amateurs. Und hatte so ein Bauchgefühl. Und verpflichtete ihn vom Fleck weg, mit einem vollen Stipendium.

Als Mickelson seinen künftigen Schützling 2012 vom Flughafen abholte, bereute er seine Entscheidung schnell. Rahm sprach kaum ein Wort Englisch, es reichte nicht einmal für die einfachsten Sätze. Oje, der hält hier kein Jahr durch, dachte sich der Coach. Auch bei den Trainings-Sessions gab es ein echtes Kommunikationsproblem; glücklicherweise sprang ein spanischsprechender Team-Kamerad als Übersetzer ein.

Für eine Mannschaft konnte das aber keine Dauerlösung sein. Bis Mickelson auf folgende Idee kam: Für jedes spanische Wort musste Rahm zehn Burpees machen, jene gefürchtete Kombination aus Liegestütz und Hüpfsprung. Rahm lernte Englisch nun sehr schnell – inzwischen ist er so gut, dass er sogar mit seinem in der Luft fliegenden Ball Englisch redet und nach missglückten Schlägen auf Englisch flucht. In den Interviews nach der Runde hört man kaum noch einen Akzent.

Hochklassiger Amateur

Das Golfen hingegen war für Rahm von Anfang an kein Problem. »Coach, dieser Platz kommt mir ziemlich leicht vor«, sagte Rahm vor einem seiner ersten Turniere nach der Proberunde auf dem Platz von Pumpkin Ridge. Der Coach lachte, schließlich gilt der Course, auf dem schon große PGA-Turniere stattfanden, als extrem hart. Und tatsächlich kam Rahm mit einer 77 ins Clubhaus.

»Na, ganz schön leicht, dieser Platz, oder?«, stichelte Mickelson. »Warte ab, Coach, ich habe immer noch ein gutes Gefühl.« Und tatsächlich ließ er Runden von 64 und 65 Schlägen folgen, die ihn auf den zweiten Platz hievten. Gemeinsam mit dem Düsseldorfer Max Rottluff bildete Rahm fortan für die ASU eines der stärksten Duos der US-College-Geschichte und stellte Platz- und Scoring-Rekorde auf. Dank Rahm und Rottluff – und dank Mickelsons Coaching – schoss das ASU-Golf-Team amerikaweit vom 85. auf den zweiten Platz.

Rahm sollte 60 Wochen lang die Nummer eins der Amateur-Weltrangliste bleiben.

Noch als Amateur bekam er 2015 eine Einladung zur Phoenix Open – vielleicht erinnern Sie sich an sein ASU-Football-Jersey mit dem Namen »Rahmbo« auf dem Rücken, mit dem er bei seinem Heimspiel die Zuschauermenge an der verrückten 16 zum Jubeln brachte (auch 2017 holte er es wieder hervor, er wohnt nur wenige Kilometer vom Platz). Er wurde Fünfter, das höchste Finish eines Amateurs auf der PGA Tour seit 2008. Als Pro hätte er knapp 250.000 Dollar verdient. Bei der US Open 2016 wurde er als 23. bester Amateur.

Baskisches Golfmärchen

Danach wechselte er ins Profi-Lager und gab damit seine Amateureinladung für die British Open auf. Kein Problem für den kernigen Basken: Bei seinem allerersten Pro-Turnier, dem Quicken Loans National, hielt er in den ersten beiden Runden die Führung und beendete das Turnier als Dritter, was ihn als Pro für die British Open qualifizierte, wo er den 59. Platz erreichte. Beim nächsten Turnier, der RBC Canadian Open, wurde er Zweiter, was ihm nach nur vier Wochen auf der PGA Tour seine Tour-Karte sicherte.

Sein deutscher Team-Kamerad Max Rottluff übrigens ist ebenfalls Pro geworden, spielt dieses Jahr auf der Web.com-Tour und konnte bereits einen dritten Platz bei der PGA Tour Latinoamérica verbuchen. GJ wird auch seinen Weg weiter verfolgen.

Kreative Vorbilder

Rahms Vorbild heißt natürlich Severiano Ballesteros, aber der Spieler, der ihn am meisten prägte, ist Miguel Angél Jiménez. Als 13-Jähriger schaute er ihm stundenlang beim Trainieren zu. Was dem Teenager am meisten imponierte: Mit jedem Schlag stellte sich Jiménez eine andere Aufgabe. Einmal nahm er ein Eisen 4, drehte das Blatt auf und pitchte damit auf ein Grün in 50 Metern Entfernung. Diese Kreativität trainierte sich fortan auch Jon Rahm an.

2017 ist bislang ein Sportmärchen für den Jungen aus dem Fischerdorf Barrika mit 1.400 Einwohnern. Im Januar gewann er die Farmers Insurance Open mit einem Paukenschlag: Auf dem 72. Loch lochte er aus 20 Metern zum Eagle ein.

Bei der WGC Matchplay Championship im März schickte er unter anderem seinen Landsmann Sergio Garcia mit einer empfindlichen Packung heim, bevor er im Finale mit dem knappest möglichen Ergebnis von 1 down dem derzeit unbezwingbar wirkenden Dustin Johnson unterlag. Das Finale, in dem Rahm zwischenzeitlich schon 5 down lag und sich dann zurückkämpfte, war Unterhaltung vom Allerfeinsten: ein harter Kampf zweier Powerhitter, die sich nichts schenkten und großes Golf zeigten.

Rahm war, Stand Ende März, Vierter der Geldrangliste in den USA und Zweiter der Geldrangliste in Europa. In der Weltrangliste ist er innerhalb eines Jahres von Platz 623 auf Platz 14 geschossen. Was hält die Zukunft für ihn bereit? Schon während des Matchplay-Finals hatten sich manche Beobachter gefragt, ob man hier einen Vorgeschmack auf künftige Ryder-Cup-Matches gesehen habe.

»Bis zu seinem 30. Lebensjahr ist Jon ein Ryder Cupper«, hatte Coach Mickelson einst prophezeit. Nun ist Jon gerade mal 22 – und so wie es aussieht, dürfte er schon nächstes Jahr in Paris dabei sein. Apropos Tim Mickelson: Der hat seinen Job bei der ASU aufgegeben und kümmert sich jetzt als Coach und Manager exklusiv um den Jungen, den er einst aus dem Baskenland in die USA gelockt hatte.

Aber wird Jon Rahm eine Karriere wie Sergio Garcia hinlegen, der einst auch ganz jung die Welt in Atem gehalten hat? Wird er gar zu Major-Ehren kommen wie Severiano Ballesteros? Niemand weiß es. Doch es wird uns in den nächsten Jahren ein immenses Vergnügen sein, diesem Kerl mit seinen 300-Meter-Drives, seinem unerschrockenen Spiel und seinem bisweilen aufbrausenden Temperament dabei zuzusehen, wie er sich in den Golfgeschichtsbüchern zu verewigen versucht.

Steckbrief

Jon Rahm

• Geb. am 10.11.1994 in Barrika, Spanien
• Seit Juni 2016 Profi
• Sieger der Farmers Insurance Open 2017
• 60 Wochen ingsesamt weltweite Nummer eins der Amateure
• Weltrangliste 12, verbesserte sich um 125 Plätze seit Dezember 2016