Es ist stockfinster am Samstagmorgen um 6:30 Uhr, als bereits ein paar Tausend Menschen vor verschlossenen Toren des TPC Scottsdale, dem bekanntesten Golfclub von Arizona warten. Sie alle eint ein Ziel: In einer halben Stunde, wenn die Eingänge öffnen, so schnell wie möglich an Bahn 16 zu sprinten, irgendwie einen Platz weit vorn ergattern, im größten Golfstadion der Welt, das 22.000 Menschen fasst.
Was sich in den Stunden danach entwickelt, ist ein kollektives Besäufnis am frühen Morgen – um Golf geht es nur einigen wenigen. Als um 10:14 Uhr Jason Kokrak, Xander Schauffele und Adam Hadwin als erster Flight aus jenem Tunnel treten, der die Spieler vom 15. Grün an die Bahn 16 führt, hat die Stimmung in der Arena ihren Siedepunkt schon erreicht. Der Bierverkauf – eine Flasche kostet stolze neun Dollar – läuft prächtig. Die Menschen gröhlen „Sweet Caroline, oh, oh, oh“, bejubeln den Fahnenträger ebenso wie Freunde, die ihr Kaltgetränk in einem Zug vernichten. Jeder erfolgreiche Abschlag wird von der johlenden Masse gefeiert wie ein Touchdown im Finale des Superbowls. Und Putts, die Zentimeter am Loch vorbeikullern, werden mit hämischen „Buh-Rufen“ quittiert.
Man kann Abende lang über Für und Wider der wilden Phoenix Open-Party streiten. Klar ist eines: Das Event ist für den Golfsport, insbesondere in den USA, ein Segen. Eine Woche lang war es das Thema Nummer eins in und um Scottsdale – noch vor Tom Brady und seinen New England Patriots. Auf vielen der rund 200 Plätze in der Umgebung waren Abschlagszeiten lange im Voraus ausgebucht und auf öffentlichen Driving Ranges trafen sich vor allem junge Menschen, die zuvor noch nie einen Schläger in der Hand hielten. Einfach so, nur um auszuprobieren, wie es sich anfühlt, mit einem Driver einen 45 Gramm schweren Ball wegzudreschen. Klar, ein Turnier wie die Phoenix Open und die Stimmung drum herum ist nicht zu kopieren, in Deutschland wäre so etwas sogar undenkbar. Weil wir anders ticken als die Amerikaner. Aber: Es zeigt, dass selbst ein versnobter und zuweilen altbackener Sport – sorry! – plötzlich hip sein kann.
Natürlich ist das Verhalten der Fans an Loch 16, um es vorsichtig zu umschreiben, gewöhnungsbedürftig für die Spieler. Ich frage mich allerdings: Warum echauffieren wir uns darüber nicht auch in anderen Sportarten? Muss sich ein Elfmeterschütze im WM-Finale tatsächlich weniger konzentrieren als ein Golfprofi vor dem entscheidenden Putt? Aus welchem Grund ist es in Ordnung, wenn jedes Jahr nach Weihnachten im Londoner Alexandra Palace tausende Volltrunkene eine Darts-Party feiern, während Michael van Gerwen mit der nächsten Triple 20 satte 500.000 Euro Preisgeld verdienen kann? Mich ärgern diese Diskussionen auch im Tennissport schon seit langem: Bei den US Open in Flushing Meadows schmatzen 24.000 Fans im gewaltigen Arthur Ashe Stadium beim Burgeressen, während sich die Profis in Wimbledon daran stören, wenn im Oberrang eine Erdbeere aus der Schale plumpst. Die Dimensionen bei der Phoenix Open in Scottsdale bewegen sich außerhalb des Rahmens, das stimmt. Aber: Ein wenig mehr Lockerheit täte dem angestaubten Golfsport auch hierzulande gut!