Viele Wege führen nach Rom und so auch der Weg von Leonie Harm Richtung Profilager. Die Stuttgarter Profigolferin qualifiziert sich gleich im ersten Turnier nach langer Pause für die US Women’s Open (3. bis 6. Juni), dem zweiten Major des Jahres im Tour-Kalender der Damen-Tour und schafft auch prompt den Cut. Und das als einzige deutsche Spielerin!
Die Berg- und Talfahrt der Leonie Harm
Nach einem folgenschweren Unfall 2013 wurde Leonie Harm beim Joggen von einem 70 Stundenkilometer schnellen Auto erfasst. „Der Notarzt hat damals meine Überlebenschance auf ein Prozent beziffert“, erinnert sich die gebürtige Stuttgarterin. Harm wurde ins künstliche Koma versetzt und kämpfte sich zurück. Das tat sie noch einmal als im Frühjahr 2014: Bei Leonies Mutter wurde Brustkrebs diagnostiziert; an den Folgen starb sie im Sommer 2016. Leonie Harm sagt heute: „Der Verlust war der Hauptgrund, warum ich Biochemie und Biophysik an der University of Houston studiert habe. Nach meiner hoffentlich erfolgreichen professionellen Golfkarriere möchte ich zu Ehren meiner Mutter, Großmutter und Urgroßmutter, die alle an der Krankheit gestorben sind, als Krebsforscherin arbeiten.“
Heute steht die 23-Jährige erst mal vor der Erfüllung eines Traum und mischt bei der US Women’s Open 2021 mit.
Leonie Harm im Interview mit Golf Magazin
Golf Magazin: Leonie, erst mal Gratulation zur Teilnahme an der US Women’s Open 2021. Du bist ja hinsichtlich großer Turniere erfahren. Du hast schon letztes Jahr in Augusta abgeschlagen, hast 2018 die Ladies’ British Amateur Championship und die German International Ladies Amateur Championship gewonnen und bist auch bereits Major-erprobt. Zuschauer können Dir also nichts anhaben. – Oder etwa doch?
Leonie Harm: Ja, Zuschauerreiche-Turniere habe ich schon gespielt – wie US Open und British Open. Auch in Augusta viel los. Allerdings habe ich in der Finalrunde nicht mehr mitgespielt, da ich den Cut verpasst hatte. Beim Junior Solheim Cup und beim Palmer Cup waren ebenfalls viele Zuschauer vor Ort.
Golf Magazin: Haben Zuschauer Auswirkung auf dein Spiel? Pusht dich das?
Leonie Harm: Natürlich ist es cool, dass Frauen-Golf in den USA wesentlich mehr Aufmerksamkeit bekommt. Ich persönlich habe noch nicht festgestellt, dass mich Zuschauer in irgendeiner Weise besonders beeinflussen. Ich bin ohnehin so gestrickt, dass ich immer das Beste rausholen möchte, egal wie die Umstände sind. Wenn ich auf dem Golfplatz bin gebe ich sowieso mein Maximum. Natürlich finde ich es grundsätzlich toll zu sehen, dass Frauen-Sport immer mehr Anerkennung bekommt.
Das erklärte Ziel: USA
Golf Magazin: Wie zeitnah wünschst du dir wieder in die USA zurückzugehen?
Leonie Harm: Mein Ziel lautet auf jeden Fall LPGA-Tour und zwar so schnell wie möglich. Wobei ich aber auf jeden Fall betonen muss, dass hier in Europa die LET (Anmerkung der Redaktion: Ladies European Tour) deutlich an Turnierstärke gewonnen hat. Wir haben viele Events auf unserem Kalender, die zu spielen wirklich cool ist. Und ich freue mich richtig drauf, noch eine Saison auf der LET spielen zu dürfen. Auch wenn ich dann in den USA spiele, werde ich mein LET-Membership nicht aufgeben. Aber mein erklärtes Ziel lautet natürlich, mich mit den Besten der Welt zu messen; und die spielen nun mal in USA.
Golf Magazin: Wenn man deine Vita genauer betrachtet, bist du ja so ein bisschen zweigespalten – einerseits Profigolf, andererseits Krebsforschung. Was ist aktuell dein größter Traum?
Leonie Harm: Während des ersten Lockdowns habe ich ja ein Praktikum einem Biotechnologieunternehmen absolviert und konnte dort meine Erfahrungen aus dem Studium im Bereich der Biochemie nutzen. Mir hat die Praktikumszeit bei CureVac auf jeden Fall sehr viel Spaß gemacht und es war toll, dass ich mich dort einbringen konnte.
Trotzdem habe ich festgestellt, dass ich noch nicht bereit bin, den Leistungssport komplett aufzugeben. Ich möchte derzeit noch nicht – und dann für den Rest meines Lebens – einen „normalen Job“ machen. Aktuell – und hoffentlich noch für ein paar Jahre – ist es mein Ziel und auch mein Plan, einfach alles, was ich habe, in Golf zu investieren. (mit leidenschaftlicher Stimme) Ich möchte sehen, wie weit ich es bringen kann. Ich möchte sehen, wo meine Grenzen sind. Ich möchte sehen, wie ich mich dank des Leistungssports menschlich und golferisch weiterentwickeln kann. Dieser Part meines Lebens wird dann im Laufe des Alters oder durch Familienplanung ein natürliches Ende finden und dann hoffe ich, dass ich doch noch durch ein weiteres Studium den Einstieg in die forschende Berufswelt finden kann.
Golf Magazin: Also erst Golf und dann Wissenschaft?
Leonie Harm: Krankheiten wie Krebs werden sich ja leider in den kommenden Jahren wohl nicht in Luft aufgelöst haben und so könnte es klappen, dass ich auch dort noch in ungefähr zehn Jahren Fuß fassen könnte.
Traum von Olympia
Golf Magazin: Was wäre im Golfbereich dein größter Traum?
Leonie Harm: (vorsichtig) Ich möchte auf jeden Fall Olympia mitspielen! (hinzufügend) Also eins meiner Ziele ist, mal bei Olympia mitzuspielen. Noch besser wäre es natürlich, mal eine olympische Medaille zu holen. (grinst) Aber das ist ja nur ein Turnier alle vier Jahre. Da ist es meist etwas schwierig, all seine Erwartungshaltungen punktgenau erfüllen zu können. Dennoch ist erst mal mein erklärtes Ziel. Natürlich gibt es glücklicherweise im Golf – anders als bei anderen Sportarten – viele Saisonhighlights im Jahr. Und deswegen möchte ich eigentlich gar nicht zwingend ein Turnier hervorheben. Ziel einer jeden Spielerin ist es natürlich bei den Majors mitzuspielen und dort dann auch gut zu performen. So etwas zu gewinnen ist natürlich auch krass, so wie es Sophia letztes Jahr gelungen ist. Das wäre natürlich ein erstrebenswertes Ziel.
Golf Magazin: Bist du emotional schon auf der Tour angekommen?
Leonie Harm: Auf der LET habe ich mich auf jeden Fall schon ganz gut akklimatisiert. Ich denke, dass ich da menschlich und auch spielerisch ganz gut reinpasse. Auf der LPGA ist Leistungsdichte natürlich deutlich extremer und die ganze Sache ist noch mal eine Schippe ernster – weil es eben die gesamte Weltelite ist, die dort spielt. Ich möchte aber jetzt auf gar keinen Fall sagen, dass die LET ein „Wanderzirkus“ ist – wir nehmen das alle sehr ernst. Aber die Atmosphäre ist einfach anders!
Und ich bin grundsätzlich eine Spielerin, die Spaß braucht und sich wohlfühlen muss. Ansonsten wird es für mich nicht so einfach, meinen bestmöglichen Score, ins Clubhaus zu bringen. Das könnte für mich auf der LPGA-Tour eine Herausforderung werden. Also, wenn um mich herum alles so wahnsinnig ernst ist, laufe ich Gefahr, auch ernst zu werden. Ich muss daran arbeiten, für mich eine Lockerheit zu entwickeln, um das beste Golf spielen – und dabei natürlich auch weiterhin Spaß zu haben.
Leonie Harm hat ihren Schwung radikal umgestellt
Golf Magazin: Anders ist ja jetzt auch dein Schwung. Du hast den Winter genutzt, um nicht nur extrem an deiner Fitness zu arbeiten, sondern hast auch deinen Golfschwung umgestellt. Warum?
Leonie Harm: Ich habe in dieser doch schon ziemlich radikalen Schwungumstellung alles über den Haufen geschmissen. Das stimmt schon. Ziel war, die großen Muskelgruppen im Schwung effektiver zu nutzen, etwaige Fehlerquellen zu eliminieren und so zu noch mehr Konstanz und Power zu gelangen.
Golf Magazin: Offensichtlich war das die richtige Entscheidung. Du hast dich prompt für die US Women’s Open qualifiziert. Vielen Dank für dieses äußerst sympathische Interview. Wir wünschen dir ganz viel in San Francisco und freuen uns schon auf das nächste Gespräch mit Dir.
Vita Leonie Harm
- 1997 in Stuttgart geboren und dort aufgewachsen
- Begann früh mit dem Golfsport aufgrund der Golfleidenschaft der Eltern
- Mehrmalige Deutsche Meisterin im Einzel und in der Mannschaft mit dem Golf Club St. Leon-Rot
- 1. Platz German International Girls Open
- 1. Platz 75. German International Ladies Amateur Championship (2015)
- 1. Platz 78. German International Ladies Amateur Championship (2018)
- 1. Platz 115. Ladies’ British Open Amateur Championship (2018)
- Mitglied des Junior Solheim Cup Teams Europe 2015 in ihrem Heimatclub St. Leon-Rot
- Beste Platzierung im World Amateur Golf Ranking: 4 – deutscher Rekord
- American Athletic Conference Female Scholar Athlete of the Year 2018/19
- Academic All-American Athletic Conference Team 16/17, 17/18, 18/19
- WGCA Academic All-American Team 16/17, 17/18, 18/19
- University of Houston Female Scholar Athlete of the Year 18/19
- Zweitplatzierte in der offiziellen Ladies European Tour Rangliste „Race to Costa Del Sol” (Stand: 26. Mai 2021)
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