Golf Medico

Golfen mit Handicap: Inklusion

Steckbrief

Gerhard Czerwionka

Gerhard Czerwionka ist Präsident des Golfclubs Landshut und Spielführer des Behindertengolfverbands. Seit 1993 spielt er Golf.Er lebt seit 25 Jahren mit der Krankheit Multiple Sklerose und traf sich mit uns zu einem sehr angenehmen Gespräch über Normalität, Lebenslust und technische Fortschritte.

Vielleicht kurz zur Einleitung. Wie muss man sich in einfachen Worten die multiple Sklerose vorstellen?

Die multiple Sklerose ist eine Autoimmunerkrankung. Man muss es sich so vorstellen, dass sich das eigene Immunsystem gegen die schützenden Nervenummantelungen richtet. Es zerstört diese und die Nerven liegen dann im Laufe der Zeit frei und erleiden Schäden. Grob gesagt könnte man auch sagen »Kabelschaden und Kurzschluss« (lacht).

Wie wirkt sich die Behinderung bei Ihnen konkret aus?

Man muss zunächst wissen, dass man die multiple Sklerose auch die »Krankheit der 1000 Gesichter« nennt. Sie äußert sich bei jedem recht unterschiedlich. Was viele gemeinsam haben sind Sehstörungen und Gehschwierigkeiten. Bei mir trifft auch beides zu. Ich habe enorme Probleme mit dem Gleichgewicht und den Beinhebern. Daraus resultiert eine sogenannte Gang-Ataxie (Bewegungsstörung). Ich gehe also nicht mehr richtig und kann lange Strecken nur noch im Rollstuhl zurücklegen.

Spielten Sie bereits Golf als die Krankheit bei Ihnen diagnostiziert wurde? 

Ja, ich habe 1993 mit dem Golfspiel begonnen und 1994 kam die Diagnose. Da ich anfangs keinerlei Einschränkungen hatte, habe ich vier Jahre lang ganz normal Golf gespielt. Dann nahmen die Probleme zu und es wurde zunehmend schwieriger, den Golfschwung und die langen Gehstrecken zu kombinieren. 2006 und 2007 saß ich dann im Rollstuhl und spielte auch kein Golf mehr.

Wie kam es dann dazu, dass Sie wieder anfingen?

Mit fehlte das Golfspiel enorm. Ich hatte viel Spaß beim Golfen. Es war ein mentaler Rückzugsort, der Dinge wieder sortierte und Gedanken in entspannte Bahnen lenken konnte. Als ich nach einer sehr schweren Phase wieder Mut fasste, und plötzlich wieder mit Gehhilfen einige Meter weit laufen konnte, packte mich diese alte Freude. Ich begann zu recherchieren, wie es mir möglich wäre, den Golfplatz zu betreten und einige Bälle zu schlagen und stieß dann auf diese Spezialkonstruktionen (Paragolfer), die gehbehinderten Golfern als Fortbewegungsmittel zur Verfügung stehen.

Da haben Sie direkt wieder angefangen?

2008 besorgte mir einen Paragolfer und fuhr damit meine erste Runde Golf nach etlichen Jahren. Sie können sich gar nicht vorstellen, was für einen magischer Moment diese Golfrunde für mich bedeutete. Das erste Mal nach so vielen Jahren Abstinenz wieder da draußen zu sein – einmalig. Es war mit Abstand die schönste Golfrunde meines Lebens.

Was hat Ihnen die Golfbewegung denn dann therapeutisch zurück gebracht?

Tja, das kann ich medizinisch schwer erklären, aber es ist ja erwiesen, dass der Golfsport bei vielen Erkrankungen mit koordinativen Problematiken (wie auch nach Schlaganfällen) eine enorm positive Auswirkung hat. Ich begann parallel wieder mit intensivem Physiotraining und fühlte, dass ich auch selbstständig wieder am Ball stehen wollte (bei Paragolfern ist man an den Beinen fixiert und wird zur Schlagbewegung aufgerichtet, Anm. d. Red.). Ich tauschte den Paragolfer gegen einen Scooter, der sich wie ein Dreirad-Moped fährt und stand bei Schlagen selbstständig. Ich ging dann auch wieder aufs Grün zum Putten. Das sichere Stehen beim Schwingen ist ja eine enorme Gleichgewichtsübung. Sieht man übrigens auch bei vielen Golfern ohne Handicap (lacht).

Spielen Sie aktuell noch mit dem Scooter?

Aktuell nicht, es wurde vor zwei Jahren wieder schlechter. Ich möchte aber den Winter nutzen, um wieder intensiver zu trainieren. Das ist etwas zu kurz gekommen während dieses langen Sommers. Mein Ziel ist es erneut stehend zu spielen. Dafür werde ich eine Menge Krafttraining investieren.

Sie nahmen bei den inoffiziellen Weltmeisterschaften auf Mallorca teil. 42 Teilnehmer aus 17 Ländern und fünf Kontinenten – wie ist das Ambiente? 

Das ist für Gesunde immer etwas schwer nachzuvollziehen, aber wir haben einen irren Spaß dort. Egal ob blind, amputiert, querschnittsgelähmt oder eben chronisch erkrankt – die Stimmung ist schon extrem gut.

Hängt das damit zusammen, dass Sie einfach dankbarer für solche Momente sind? 

Das kann sein, aber das möchte ich nicht verallgemeinern. Natürlich ist es so, dass Menschen mit Schicksalsschlägen häufig die überflüssigen Ärgernisse des Lebens umschiffen und belächeln. Das gilt ja aber auch nicht für alle. Einige ergeben sich dann auch im Schicksal und stecken den Kopf in den Sand. Die Behindertengolfer, die ich im Laufe der Jahre kennengelernt habe sind allesamt unheimlich inspirierend. Das würde ich lieber in dieser Form stehen lassen.

Wie geht die Gesellschaft generell mit dem Thema Inklusion um? Haben Sie da Erfahrungen gemacht?

Natürlich. Die würde ich gern in zwei Kategorien sortieren. Die erste sind die persönlichen Erfahrungen mit dem lieb gewonnenen Umfeld. Da ist es plötzlich schwer mit gewissen Dingen Schritt zu halten. Wenn ich also in Golfgruppen oder anderen sportlichen Hobbies aktiv war, fällt man aus sozialen Gefügen heraus. Das ist normal und das möchte ich auch niemandem vorwerfen, aber es ist eben Realität, dass man sich da erst einmal neu sortieren muss. Freunde und Bekanntschaften sortieren sich neu und es dauert ein wenig, die neue Situation einzuordnen.

Die zweite Kategorie sind die Menschen, die man gar nicht kennt, also das tägliche Umfeld auf der Straße, beim Supermarkt und am Bahnhof etc.! Da muss ich sagen, dass ich bis heute nicht eine einzige negative Erfahrung erlebt habe. Das lässt mich wiederum ganz anders auf die Mitmenschen schauen. Die Menschen sind positiver als wir es uns alle immer anhand von negativen Schlagzeilen ausmalen. Im Gegenteil, ich muss viele sogar davon abhalten mir zu helfen. Das ist wirklich berührend und lässt einen auch positiver in die Zukunft schauen.

Und im Golfsport?

Naja, schauen Sie: Ich bin Clubpräsident eines ganz normalen Golfclubs. Das nenn ich Inklusion. Wenn ich für den Süden der Republik spreche, dann bin ich ein glücklicher Golfer mit Handicap. Hier passiert enorm viel. Die internationalen bayerischen Behindertenmeisterschaften sind mittlerweile eine weltweite Institution. Landesweit sieht es dann leider etwas mäßiger aus. Der DGV wollte vor vielen Jahren vielversprechend an das Thema herangehen, doch leider versickerten die Bemühungen dann im Sande. Frankreich, Schweden, Holland und England sowie auch viele außereuropäische Länder sind uns da Meilen voraus. Das erinnert mich alles ein wenig an den Jugendsport. Auch hier fragt man sich ja, weshalb kleinere Golfnationen wesentlich mehr vielversprechende Talente im Profisport platzieren.

Das Wort Inklusion ist aber zu abstrakt und nicht zielführend. Inklusion ist die tägliche Begegnung mit gehandicapten Menschen und der Abbau dazugehöriger Barrieren. Nicht mehr und nicht weniger. Wenn der Gründer des bayerischen Golfverbandes einarmig war und der aktuelle Präsident des Landshuter Golfclubs mit MS und einem Paragolfer umher fährt, ist mir um die gemeinsame Zukunft unter uns Golfern nicht bange (lacht).

Ein schönes Schlusswort. Wir danken für dieses offene Gespräch und wünschen weiterhin schönes Spiel in Landshut!