Wohl kaum ein anderer Spieler hat derart viele Schicksalsschläge verarbeiten müssen wie
der Australier Jason Day (30). Den Vater mit elf Jahren verloren, alle Großeltern gestorben und die Mutter ebenfalls gesundheitlich angeschlagen. GJ hatte die seltene Chance, mit der ehemaligen Nummer eins zu reden. Ein bewegendes Gespräch.
Herr Day, in den Genuss zu kommen, Sie live zu sehen, da muss man als Europäer wirklich weit reisen. Wie wäre es mal wieder mit einem Abstecher nach Deutschland?
Oh, mein einziger Auftritt ist ja schon lange her. Das war bei der BMW International Open 2006. Deutschland habe ich echt nicht auf dem Radar, ich lebe mit meiner Familie in den USA, spiele dort auf der PGA Tour. Aber denkbar ist ein Abstecher schon, man sollte grundsätzlich nichts ausschließen. Wenn ich im Auto im Hinterland von Ohio unterwegs bin, erinnert mich dies an Deutschland. Da klickt es in meinem Kopf, und Deutschland ist präsent.
Von Europa haben Sie ja nicht viel gesehen, können Sie sagen, ob es Ihnen gefällt oder nicht?
Das kann ich nicht bewerten. Es ist schwierig für mich, ich habe meine Karriere in den USA gestartet und vielleicht eine Handvoll Turniere in Europa gespielt, das war dann die Open, oder Turniere im Rahmen der European Tour in Australien. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass ich mich wohlfühlen würde, denn, was ich so gehört habe, ist die Kameradschaft unter
den Spielern sehr freundlich. Es ist ein knallharter Wettbewerb, aber die Jungs hängen abends gemeinsam ab. Das ist in den USA eher selten. Unter den jüngeren Pros hat sich das Gemeinschaftsgefühl etwas in eine gute Richtung verändert, sie unternehmen etwas zusammen, doch die älteren haben Familien und gehen somit ihre Wege mit Frau und Kind.
Eine Familie kann einen schnell auf andere Gedanken bringen, wenn es nicht so läuft. Ihre Saison 2017 dürfte kaum wunschgemäß verlaufen sein…
Das Jahr war etwas enttäuschend, das gebe ich zu. Ich könnte frustriert und wütend sein. Aber, was hilft’s? Ich arbeite einfach weiter, das ist manchmal schwer umzusetzen, doch ich muss einfach die nötige Geduld aufbringen. Es geht darum, an den richtigen Stellschrauben zu drehen, und dann sieht man hoffentlich wieder Licht am Ende des Tunnels. Wenn man den Tunnel schließlich verlässt, hat man gewonnen. Ich muss trainieren, das muss mir immer bewusst sein. Es gibt keinen Grund, in Panik zu verfallen, setze ich das um, werde ich wieder gewinnen. Bei der Farmers Insurance Open ist mir das zu meiner eigenen Überraschung gelungen. Das – und nun der Sieg bei der Wells Fargo Championship – war ein wichtiger Schritt bei meinem Vorhaben, wieder die Nummer eins der Welt zu werden.
Steckbrief
• Geboren: 12. November 1987
in Beaudesert, Australien
• Verheiratet: seit 2009 mit
Ellie Harvey, zwei gemeinsame
Kinder: Dash James, Lucy Adenil
• Wohnort: Westerville, Ohio
(USA)
• Profi: seit Juli 2006
• Sportliche Erfolge:
• 2007 sicherte er sich mit
Rang 5 auf der Nationwide
Tour das PGA-Tour-Ticket
• jüngster australischer Sieger
auf der PGA Tour (HB Byron
Nelson Championship 2010)
• weltweit 17 Turniersiege (12
auf der PGA Tour): u.a. PGA
Championship, WGC-Dell
Match Play Championship,
The Players
• 14 Top-10-Plätze bei Majors
• September 2015: kurzfristig
Nummer eins der Welt
• Trainer: Colin Swatton
• Sponsoren: Nike, TaylorMade,
Zurich Financial Services, Full
Swing Golf
• Preisgeld PGA Tour:
ca. 42,5 Mio. Dollar
2017 haben haben Sie im Frühjahr eine sehr bewegende Pressekonferenz gehalten. Da haben Sie sehr offen über die schwierige Situation mit Ihrer Mutter gesprochen. Haben Sie Ihre – verständlichen – Emotionen später überrascht?
Nein. Man selbst wird älter, andere Menschen, die einen begleiten, auch. Zwangsläufig geschehen Dinge, die früher undenkbar waren. Das Leben beginnt meistens recht schön, und das kann sich ändern. Wer denkt denn ernsthaft daran, dass das Leben plötzlich aufhören kann, speziell für jemanden, den man liebt oder der einem sehr nahe steht? Ich wurde mit solchen Situationen schon sehr früh konfrontiert. Meine Großeltern leben nicht mehr, mein Vater auch nicht. Nur meine Mutter ist übrig geblieben, und jetzt kämpft sie gegen diese Krankheit an.
Das ist eine extreme Situation. Hinzu kommt: Ich würde gerne mehr Zeit mit ihr verbringen, nur ist meine Heimat Amerika und ihre Australien. Ich habe gesagt: Komm zu uns, aber sie hat abgelehnt. Sie liebt ihren Job, der gibt ihr Unabhängigkeit. Es ist sehr hart, dass wir uns nur ein Mal im Jahr sehen. Und wenn man mit dem Schlimmsten rechnen muss, geht einem immer wieder durch den Kopf, dass man doch mehr Zeit miteinander verbringen sollte.
Wer denkt denn ernsthaft daran, dass das Leben plötzlich aufhören kann, speziell für jemanden, den man liebt oder der einem sehr nahe steht?
Sie sind zweifacher Familienvater, wie sehr hat sich Ihr Leben dadurch verändert?
Vollkommen, alles ist anders. Ein Kind zu haben, ist ne große Sache. Zwei? Das ist noch mal eine ganz andere Nummer. Die Krux war es, die Balance zu finden. Bei meinem Sohn war das recht schwierig für mich, ich war recht jung, mit Anfang 20 irgendwie noch nicht richtig reif für die Vaterrolle, und ich war egoistisch. Als Golf-Profi muss man auch ausgesprochen egoistisch sein. Man muss mit seiner Zeit entsprechend umgehen, das richtige Umfeld auswählen.
Nur so kann man erfolgreich sein. Aber dann ist plötzlich jemand auf der Welt, und für diesen kleinen Menschen muss man Verantwortung übernehmen. Es geht um Erziehung und alles in die richtige Bahnen zu lenken. Ich habe Zeit gebraucht, um das realisieren – es war ein Lernprozess. Jetzt kann ich sagen: Ein Leben ohne Kinder kann ich mir gar nicht mehr vorstellen.
Ein Pro wie Henrik Stenson, selbst dreifacher Familienvater, reist zu den Majors nur ungern in familiärer Begleitung. Wie läuft das bei Familie Day ab?
Bei mir ist es das Gegenteil. Die Begleitung macht die Sache einfacher, da ich eine Aufgabe habe. Nehmen wir folgende Situation: Ich muss am Finaltag eines Majors erst nachmittags in der letzten Gruppe abschlagen, da habe ich nach dem Aufstehen sehr viel Zeit zum Überlegen. Was würde ein Sieg für mich bedeuten? Und, und, und. Die Familie kommt mir in diesen Momenten sehr gelegen, es ist eine willkommene Flucht, um der Realität zu entkommen. Den Kindern ist es egal, dass du gleich um ein Major spielst, die wollen spielen und Zeit mit dir verbringen.
Ein Major zu gewinnen, ist immer schwer. Ob der unglaublichen Dichte und Qualität scheint es jährlich noch schwieriger zu sein. Gibt das einen zusätzlichen Kick?
Durchaus. Nehmen wir Jordan Spieths Open-Titel 2017. Ich bin nicht neidisch, ich weiß, wie dieses Gefühl ist, wenn man den Pokal überreicht bekommt. Da will ich einfach nur noch härter arbeiten, um wieder in den Genuss zu kommen. Für mich gibt es eine ganz klares Ziel: Ich will wieder die Nummer eins der Welt werden. Es wird auch keine Dominanz eines Spielers mehr geben, wie Tiger Woods beispielsweise. Das ist vorbei, dafür gibt es auf der Tour zu viele sehr gute Pros. Das sind derzeit acht bis zehn Spieler. Plötzlich ist der eine für ein paar Monate ganz oben, dann folgt der nächste. Das sind jeweils Phasen, eine mehrjährige Dominanz eines Spielers schließe ich aus.
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Wissenswertes zu Jason Day
• Day ist in sehr armen Verhältnissen aufgewachsen. Vater Alvin besorgte auf einer Müllhalde den ersten Schläger (Holz 3) fu?r Jason. Alvin verlor den Kampf gegen Magenkrebs 1999, damals war Jason elf Jahre alt. Mutter Dening wurde im Frühjahr 2017 nach Lungenkrebs-Diagnose operiert.
• Day meidet Hotels, er reist gerne mit der Familie im Wohnwagen zu den Turnieren.
• Als Jugendlicher plakatierte Day sein Zimmer mit Schwungsequenzen von Idolen wie Ernie Els und Sir Nick Faldo.
• Mitglied im Muirfield Village GC
• Sport-Fan: Er besucht regelmäßig die Spiele der Cleveland Cavaliers (Basketball) und Ohio State Buckeyes (Football).
• Verlor durch den Taifun »Haiyan« 2014 auf den Philippinen acht Familienangehörige.