Der eisenharte Ex-Verteidiger Werder Bremens, Uli Borowka, kämpfte zu seiner aktiven Zeit mit großen Alkoholproblemen. Im Jahr 2000 begab er sich in Therapie und hat diese Erfahrungen in seinem Buch „Volle Pulle“ beschrieben. Er hilft heutzutage aktiven und ehemaligen Leistungssportlern mit seinem Verein „Uli Borowka Suchtprävention und Suchthilfe“. Ein Gespräch über Sucht, Outing und Golf.
Golfmedico: Herr Borowka, wie lange sind Sie schon trocken, und wie nehmen Sie seitdem gesellschaftliche Events wahr? Meine Frau mag auch keinen Alkohol, und sieht sich nach Bekanntgabe dieser geschmacklichen Tatsache immer wieder verständnislosen Blicken und sinnlosen Aufforderungen zum Trinken ausgesetzt. Kennen Sie das?
Borowka: Eine traurige Entwicklung in der „Kultur-Alkoholgesellschaft“ Deutschland. Leute, die nichts trinken, werden sehr schnell ausgegrenzt. Sie gelten rasch als Spaßbremse. Ich kann die Schilderungen Ihrer Frau also sehr gut nachvollziehen. Nur man sollte in der Tat nicht weiter darauf eingehen, denn wie zuvor erwähnt, Alkohol ist salonfähig, Abstinenz suspekt. Trocken bin ich seit dem Jahr 2000.
Golfmedico: In Ihrem Buch „Volle Pulle“ schildern Sie sehr detailreich, wie Ihr Leben als alkoholkranker Profi ablief. Erstaunlich, wie man im Profibereich mit solch einem Konsum bestehen konnte. Glauben Sie, dass es heute auch noch möglich wäre?
Borowka: Natürlich, wir betreuen in unserem Verein ja nicht nur ehemalige, sondern auch aktive Hochleistungssportler, und auch hochrangige Sportfunktionäre. Heute spielen nicht nur der Alkohol noch immer eine große Rolle im Alltag, sondern auch Drogen, Medikamente und das Zocken. Aber die Zeiten damals waren in der Tat weniger „öffentlich“. In meiner Anfangszeit fuhren wir noch mit unseren privaten Pkws zu den Auswärtsspielen, und die neuen, jungen Spieler, erhielten vor wichtigen Spielen vom Physio auch mal ein kleines Schnäpschen zur Beruhigung. Das ist heutzutage undenkbar.
Golfmedico: Sehen Sie die Stigmatisierung psychischer Krankheiten als generelles Problem unserer Gesellschaft an? Alles muss möglichst stromlinienförmig laufen. Auch Depressionen sind erst salonfähig geworden, seitdem man ihnen den Stempel „Burn-out“ aufgedrängt hat.
Borowka: Man nutzt diese „Dramen“, um kurz etwas Benefiz zu machen und vergisst das Kernproblem zügig wieder. Menschen mit psychischen Erkrankungen erhalten oft wenig Verständnis. Ihr Umfeld weiß oft nicht, wie sie mit dem Menschen umgehen sollen. Ihn zu meiden und auszugrenzen, ist einfacher als sich dem Problem und vielleicht auch der eigenen Mitverantwortung zu stellen. Die Stigmatisierung von Alkoholkranken ist exakt dieselbe. Wenn dies wegfallen würde, wären wir einen großen Schritt weiter in der Akzeptanz. Ein Betroffener traut sich kaum, sich in professionelle Betreuung zu begeben, weil er Angst haben muss, gesellschaftlich sofort geächtet zu werden.
Golfmedico: Hat Ihnen damals jemand geholfen? Warum haben Sie sich getraut?
Borowka: Ich habe bereits lange gewusst, dass es so nicht weitergehen kann. Sie dürfen nicht vergessen, dass ich auch sehr viel darauf angesprochen wurde. Es lässt sich halt nicht verheimlichen, wenn man vor dem Training bereits eine ganze Kiste Weizenbier getrunken hat. Christian Hochstätter und Wilfried Jacobs haben mich in die Suchtklinik gebracht. Wichtig ist zu erwähnen, dass ich mich den beiden aus freien Stücken anvertraut habe. Der Klinikleiter erklärte mir später, dass es essenziell ist, ob ein Betroffener von sich aus erscheint, oder ob ihn Bekannte in die Klinik argumentieren. Als ich nach vier Monaten aus der Klinik kam, waren bis auf meine Eltern und meine Schwester niemand mehr da. Ich war bankrott, ich hatte Schulden, keine Wohnung und keine Perspektive. Ich wusste allerdings immer, dass ich leben wollte. Aus diesem Antrieb heraus, habe ich mich dann neu erfunden, und teilte meine eigene Erfahrung, um anderen zu helfen.
Golfmedico: Zurück zu Ihrem Verein. Wie helfen Sie den Betroffenen konkret? Was ist denn ein erster Schritt in die suchtfreie Richtung?
Borowka: Man muss es sich zunächst einmal selbst eingestehen. Ich habe auch eine ganze Weile behauptet, dass ich in der Suchtklinik nichts verloren hätte. Eine anonyme Anlaufstelle wie bei uns ist Gold wert. Wir rennen niemandem hinterher, die Betroffen müssen von sich aus mit uns Kontakt aufnehmen. Wenn sie das getan haben, versuchen wir für sie in eine passende Suchtklinik zu vermitteln. Wenn sie die Therapie erfolgreich beendet haben, fängt für uns, aber auch für den Betroffenen, der schwierigste Teil der Betreuung an. Die Wiedereingliederung in das normale und suchtfreie Leben.
Golfmedico: War das bei Ihnen einfach?
Borowka: Das ist in der Tat der schwerste Teil, denn Sie sind ein Leben lang rückfallgefährdet. Wenn Sie dann auf Partys sind, müssen sie auch noch hellwach sein, damit Ihnen kein „Scherzkeks“ etwas in das Glas schenkt. Das ist mehr als einmal vorgekommen.
Golfmedico: Wie bitte?
Borowka: Ja, ein Spiegelbild der Gesellschaft halt. Vielleicht passt es jemandem nicht, dass er selbst noch am Stoff hängt, während andere Menschen den Schritt geschafft haben. Anders kann ich mir solchen Irrsinn nicht erklären.
Golfmedico: Glauben Sie, dass die Bundesrepublik genügend für die Suchtprävention investiert?
Borowka: Bei Weitem nicht. Schauen Sie bitte die Zahlen an: Der volkswirtschaftliche Schaden durch Alkohol liegt bei 55 Milliarden Euro. 2,2 Milliarden Euro nimmt der Staat jährlich durch Alkoholsteuer ein. Und er investiert in Prävention gerade einmal 45 Millionen Euro. Ein Schelm der da Böses denkt! Übrigens gibt der Staat 27 Milliarden pro Jahr für die gesamte Flüchtlingspolitik aus. Die Hälfte des volkswirtschaftlichen Schadens durch Alkohol. Würde sich diese Diskussion in Luft auflösen, wenn wir aufhören würden zu saufen?
Golfmedico: Herr Borowka, wir danken für dieses kurzweilige Interview und wünschen Ihnen, Ihrem Verein und allen Betroffenen viel Erfolg.
Informationen
Der Uli Borowka Suchtprävention und Suchthilfe e.V. wurde im Jahr 2013 gegründet. Er wurde als gemeinnützig anerkannt und engagiert sich in der Suchtprävention und Suchthilfe. Förderer sind u.a. die Max Grundig Klinik und die BAD Gesundheitsvorsorge und Sicherheitstechnik GmbH. Weitere Informationen zu Vorträgen und Seminaren gibt es hier!
Sein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker konnte er vor Fans und Öffentlichkeit jahrelang verheimlichen. Erst zwei Jahre nach seinem Abschied aus der Bundesliga gelang ihm im Jahr 2000 nach viermonatiger, stationärer Therapie der Ausstieg aus der Alkoholsucht. Borowka berichtet in seiner typisch direkten und kompromisslosen Art von Alkohol und Fußball, Freunden und Feinden, Enttäuschungen und Unterstützung. „Volle Pulle“, 304 Seiten, erschien im Edel Verlag.