Wilhelm Busch dichtete damals „Wird einer jung vom Tod betroffen, so heißt es, der hat sich tot gesoffen. Trifft es jedoch einen von den Alten, heißt es, den hat der Schnaps erhalten!“
Die Frage hinter dem Gedicht konnte medizinisch von Wilhelm Busch damals nicht abschließend aufgeklärt werden. Zeit also, einen genaueren Blick auf die gesellschaftlich anerkannteste Droge der westlichen Welt zu werfen. Und wenn ich mich so auf unseren Golfterrassen umsehe, frage ich mich ohnehin des Öfteren, ob vollständig autonomes Fahren in Deutschland nach den Herren- und Damennachmittagen doch schon erlaubt ist.
Es gibt – im Vergleich zu Wilhelm Buschs Zeiten – viel mehr Menschen, die sich proaktiv und präventiv mit Ihrer Gesundheit auseinandersetzen. Gesund altern ist en vogue! So teilte mir unser Grafiker bspw. mit, dass 1–2 Gläser Wein seinen Puls um 20 Schläge pro Minute nach oben treiben. Ich selbst bemerke, dass meine Schlafqualität unter Alkoholeinfluss enorm beeinträchtigt ist. Schauen wir sie uns also an: „Die einzige Droge, bei der man annimmt, dass derjenige, der sie nicht konsumiert, ein Problem hätte.“ (Chris Williamson)
Frau Ruta Nürnberger ist Fachärztin für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie der My Way Betty Ford Klinik. Wir treffen die Ärztin mit Schwerpunkt Suchtverhalten im Foyer, ein Gespräch über Ursachen, wissenschaftliche Erkenntnisse und Motivation.
Golfmedico: Was passiert eigentlich genau im Körper, sobald der Mensch Alkohol konsumiert? Nehmen Sie uns bitte kurz mit auf eine populärwissenschaftliche Reise.
Ruta Nürnberger: Es wird bereits beim ersten Schluck eine Kaskade der physiologischen Veränderungen in Gang gesetzt, denn der Körper betrachtet Alkohol als Gift. Genaugenommen ist Alkohol ein Nervengift. Da der Körper ihn nicht benötigt, ist er direkt nach der Einnahme sofort damit beschäftigt, den Alkohol zu zerlegen. Alkohol wird im Magen und im Dünndarm schnell absorbiert. Etwa 20 % bis 25 % des aufgenommenen Alkohols gelangen jedoch über die Magenschleimhaut direkt in den Blutkreislauf. Sobald Alkohol in den Blutkreislauf gelangt, verteilt er sich im ganzen Körper, einschließlich des Gehirns, der Leber und anderer Organe. Die höchste Priorität des Körpers ist es, den Alkohol zu eliminieren. Dazu nimmt sich die Leber der Substanz an. Enzyme bauen Alkohol dort in Acetaldehyd um, eine toxische Substanz, die für viele der negativen und schädlichen Auswirkungen des Alkoholkonsums verantwortlich ist.
Alkohol wird zu Energie verarbeitet, die der Körper nicht für sich nutzen kann, er wird also als reine Belastung wahrgenommen. Die Leber baut dann diese Energie in Form eines Fettgewebes in die Leber ein. Diese Fettleber ist dann die erste Stufe einer entzündlichen Lebererkrankung. Das sollte allgemein bekannt sein.
Was viele jedoch nicht wissen, ist, dass Alkohol einen großen Einfluss auf das Knochenmark hat. Die Aufgabe des Knochenmarks ist es rote, weiße und Gerinnungsplättchen „aufzuräumen“. Wir sehen bei regelmäßigem Alkoholkonsum, dass die Anzahl der roten Blutkörperchen geringer und leistungseingeschränkt sind. Wenn man bedenkt, dass diese die wichtige Aufgabe haben, den Transport von Sauerstoff und Kohlendioxid im Körper zu regeln, wird einem klar, was Alkohol in der Gesamtbetrachtung anrichtet. Das betrifft direkt den Stoffwechsel und die Energieproduktion.
Golfmedico: Der Mythos der sich ausweitenden Adern wird immer gern als Scheinargument für die angebliche Gesundheit genommen. Ist dem so? Gibt es tatsächlich unbedenkliche Grenzen aus medizinischer Sicht?
Ruta Nürnberger: Dass Alkohol kurzfristig die Gefäße erweitert, kann man jedes Jahr auf dem Weihnachtsmarkt beobachten: einem wird kurzfristig wärmer, die Gefäße kurzfristig weiter, um dann anschließend besser frieren zu können (lacht). Sie können das auch immer im Gesicht ablesen, da blüht dann die sogenannte Couperose. Die Couperose ist eine Hauterkrankung, bei der kleine, erweiterte Blutgefäße in der oberen Hautschicht sichtbar werden. Diese können sich als feine, rote oder violettfarbene Linien oder Flecken auf der Haut manifestieren, insbesondere im Gesicht, auf den Wangen, der Nase oder dem Kinn. Alkohol, scharfes Essen und heiße Getränke können vorübergehend die Couperose befeuern.
Das Alkohol bspw. den Blutdruck senkt, ist leider aus dem Reich der Ammenmärchen. Im Rotwein sollen viele Antioxidantien vorhanden sein, dies wäre der positive Effekt des Konsums – aber die können sie auch über die Trauben alkoholfrei zu sich nehmen. Und falls Sie mich nach einer „vertretbaren Menge“ fragen, kann ich Ihnen maximal 80ml Rotwein an höchstens 4 Tagen in der Woche ans Herz legen. Da stellt sich dann jedoch die Frage, wer die Flasche für ein halbes Glas Rotwein öffnet …
Golfmedico: Und welche unwiderruflichen Schäden richtet Alkohol bei welchem Maß an? Gibt es dazu neueste Erkenntnisse?
Ruta Nürnberger: Diese betreffen den gesamten Organismus. Das ist als multiorganschädigend zu betrachten. Die Leber arbeitet aufwendig an ihren Grenzen, und wenn die Leber nicht mehr kann, geht die Überlastung eben weiter, in die Gefäße, dort steigt bspw. der Druck. Die Bauchspeicheldrüse ist auch häufig betroffen, und Blutungen im Gastrointestinaltrakt treten nicht selten auf. In fortgeschrittenen Stadien wird dann auch Ammoniak ins Gehirn gelangen und traurige, bemitleidenswerte Zustände hervorrufen.
Golfmedico: Selbst mein Internist hat Angst vor dem nahezu unheilbaren Bauchspeicheldrüsenkrebs. Stimmt es, dass auch Krebserkrankungen wie diese auf Alkohol zurückzuführen sind? Was ist der aktuelle Stand der onkologischen Forschung in Bezug auf Alkohol als Verursacher?
Ruta Nürnberger: Ja, Bauchspeicheldrüsenkrebs ist eindeutig auf Platz 1 bei den alkoholinduzierten Krebserkrankungen. Also bei ihm wissen wir am klarsten, dass er den regelmäßigen Alkoholkonsum als Ursache hat. Häufig entsteht er aus einer chronifizierten Bauchspeicheldrüsenentzündung. Leider führt diese Krebsart häufig in wenigen Wochen zum Tode.
Langfristiger Alkoholkonsum ist ebenfalls ein Risikofaktor für die Entstehung von Speiseröhrenkrebs. Der regelmäßige Kontakt von Alkohol mit der Speiseröhre kann zu Entzündungen führen, die das Risiko für Krebs erhöhen. Gleiches gilt für den Mundhöhlen- und Rachenkrebs. Magen-, Leber- und Dickdarmkrebs folgen dicht dahinter.
Golfmedico: Wie sieht es mit neurologischen Auswirkungen aus? Dass man nach Alkoholkonsum schlechter und unruhiger schläft, dürfte jeder schon einmal am eigenen Leib erfahren haben. Aber wie sieht es mit Demenzen & Co aus? Gibt es da neue Informationen zu einem möglichen Zusammenhang?
Ruta Nürnberger: Die Nervenbahnen im gesamten Organismus werden vom Alkoholkonsum geschädigt. Wir sehen bspw. das Krankheitsbild der Polyneuropathie (Erkrankung des Nervensystems, bei der mehrere Nerven in verschiedenen Körperregionen betroffen sind) besonders häufig bei älteren Menschen, die ihr Leben lang viel und/oder regelmäßig Alkohol konsumiert haben. Der Alkohol fördert auch eine raschere Entwicklung von Einbußen im Gehirn. Dies sind zunächst „Funktionsstörungen“, die dann aber nicht selten in einer alkoholinduzierten Demenz enden.
Golfmedico: Eine Menge Argumente gegen den regelmäßigen Konsum des Alkohols. Gibt es sonst noch körperliche Auswirkungen?
Ruta Nürnberger: Gutes Thema (lacht). Wenn man sich vor Augen hält, dass 1 Gramm Fett 9,3 Kalorien, und Alkohol 8,2 Kalorien hat, 1 Gramm (der in Verruf geratenen) Kohlenhydrate aber nur 4,3 Kalorien, dann wird einem bewusst, dass bereits die Kalorien des Alkohols der Gewichtsabnahme im Wege stehen. Zudem sind es noch „leere Kalorien“, mit denen der Körper nichts anfangen kann, sie werden direkt eingebaut. Also vergessen Sie bitte den Mythos, dass nur Bier (oder der Hunger danach) dick macht. Wenn die Leber (unser zentrales Organ des Stoffwechsels) permanent mit der Entgiftung des Alkohols beschäftigt ist, kann sie auch keinen sinnvollen Beitrag zur Ankurbelung des Stoffwechsels leisten. Das sollte doch jedem einleuchten. Also ist die gute Nachricht für alle gescheiterten Diätversuche: „Wenn man abnehmen will, Alkohol komplett meiden“!
Golfmedico: Lassen Sie uns zum Entzug und der psychischen Komponente des Alkohols kommen. Zunächst die Frage, ob es einen typischen „Süchtigen“ gibt? Ich würde von zwei Menschen in meinem erweiterten Bekanntenkreis sagen, dass die ein ernsthaftes Problem mit ihrem Alkoholkonsum haben. Ansehen tut man es ihnen aber nicht …
Ruta Nürnberger: Man hat sich bewusst gegen eine Definition des Suchtkranken entschieden, denn das würde zur Stigmatisierung der Betroffenen führen. Es gibt aber Kriterien, bei denen es um die Definition eine Abhängigkeit geht (siehe Infokasten).
Ein Alkoholiker hat eine physische und/oder psychische Abhängigkeit von Alkohol entwickelt. Sie können nicht aufhören zu trinken, obwohl sie die negativen Auswirkungen erkennen. Alkoholmissbrauch führt oft dazu, dass wichtige berufliche, soziale und familiäre Verpflichtungen vernachlässigt werden. Betroffene vernachlässigen ihre Arbeit, Familie und soziale Aktivitäten. Ein Zeichen von Alkoholismus ist die Notwendigkeit, immer größere Mengen Alkohol zu konsumieren, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Dies führt zu einer erhöhten Toleranz gegenüber Alkohol.
Alkoholiker ziehen sich oft aus sozialen Aktivitäten zurück und isolieren sich. Dies kann auf Scham, Schuldgefühle oder die Notwendigkeit zurückzuführen sein, Alkoholkonsum zu verbergen. Viele Alkoholiker leugnen ihr Problem und sind oft nicht bereit, Hilfe anzunehmen. Sie rationalisieren ihren Alkoholkonsum und sehen ihn nicht als schädlich. Es ist wichtig zu verstehen, dass Alkoholismus eine ernsthafte Erkrankung ist, die professionelle Hilfe erfordert.
Es ist zusätzlich genetisch bedingt, wann eine Abhängigkeit eintritt (bspw. wie hoch die Toleranz ist). Ebenso wie die Frage, wozu man den Alkohol einsetzt. Den klassischen Alkoholiker gibt es auch nicht direkt, denn fast dreiviertel der Betroffenen kommen mit weiteren psychiatrischen Erkrankungen zu uns. Das sind Sozialphobien, Angststörungen und Depressionen. Da scheint es also auch noch eine Nähe zu geben. Was dann ursächlich ist, gilt es in der Therapie herauszufiltern.
Golfmedico: Ich kann mir vorstellen, dass das Gros der Süchtigen nicht den Mut hat, sich die Problematik einzugestehen. Unser Beispiel in diesem Heft von Uli Borowka zeigt doch, dass es sein Freund sein musste, der ihn in die Klinik gebracht hat. Wie ist da Ihre Erfahrung?
Ruta Nürnberger: Die Anerkennung und der Umgang mit einer Alkoholkrankheit können eine komplexe und schwierige Herausforderung darstellen, sowohl für die betroffene Person als auch für ihre Angehörigen. Eine der häufigsten Probleme ist die Verleugnung der Krankheit. Viele Menschen mit Alkoholproblemen sind nicht bereit, ihre Sucht zu akzeptieren oder sie als Problem anzuerkennen. Dies kann den Zugang zur Behandlung erheblich behindern.
Die soziale Stigmatisierung von Alkoholismus kann dazu führen, dass Betroffene zögern, sich Hilfe zu suchen, aus Angst vor Diskriminierung oder Vorurteilen. Manche Menschen mit Alkoholproblemen sind Meister der Selbsttäuschung und können sich überzeugend einreden, dass sie keine Hilfe benötigen oder sie jederzeit aufhören können zu trinken. Wichtig ist jedoch, dass sich der Betroffene die Sucht selbst eingesteht.
Golfmedico: Liegt der Fokus nach einer körperlichen Entgiftung auf der psychologischen Arbeit? Können Sie einen klassischen Ablauf schildern? Wie behandeln Sie?
Ruta Nürnberger: Zunächst durchläuft jeder Patient eine Anmeldeprozedur, auf Wunsch auch mit persönlichem Kennenlernen. Dies kann auch gern im Vorfeld und mit Familienangehörigen erfolgen, um Barrieren abzubauen. Als Beginn der Therapie erhält jeder Patient dann eine medikamentöse Option, um seine spezifische Entzugsproblematik zu lindern. Sobald sie kognitiv in der Lage sind, beginnen wir mit der therapeutischen Arbeit. Es geht bspw. darum zu erkennen, wo die Schwachstellen sind, und um die Frage, was das Suchtbild hat attraktiv werden lassen. Es geht in der Therapie darum, den Gegner zu erkennen, und ihn dann zu entwaffnen. Eine radikale Akzeptanz der Situation ist dabei essenziell.
Golfmedico: Nehmen wir an, der „optimale Patient“ hat in Ihrer Klinik alles mustergültig durchlaufen. Worin liegt die Schwierigkeit einer dauerhaften Enthaltsamkeit? Was geht dort psycho- und physiologisch im Körper vor? Und wie wird er dann weiterbetreut?
Ruta Nürnberger: Auch die Frage „wie gehe ich in Zukunft damit um, keinen Alkohol zu trinken?“ wird in der Therapie geklärt. Eine ambulante Therapie muss sich nahe dem Wohnort anschließen. Wir vermitteln dort gern aus unserem Netzwerk heraus und sprechen Empfehlungen aus. Der Betroffene muss seine Situation anfangs engmaschig überwachen.
Golfmedico: Wie streng sind die Regeln der My-Way-Betty Ford-Klinik und wer kommt zu Ihnen?
Ruta Nürnberger: Wir sind eine Einrichtung, die ein sehr liberales Modell verfolgt und auf ein hohes Maß an Eigenverantwortung setzt. Die strengen Regeln der gesetzlichen Kliniken können hier nicht komplett adaptiert werden. Dort haben die Patienten teilweise Mehrbettzimmer, keinen Fernseher, und dürfen weder Handy noch Laptop benutzen. Ferner erfolgt dort deutlich weniger Zuwendung in Form von individuellen Einzeltherapien. Das ist bei uns genau das Gegenteil. Unser Hotelcharakter hat nachweislich positive Effekte auf die Therapie und die Motivation. Wir geben unseren Patienten ein Gefühl der Wertschätzung. In den ersten Tagen der Entgiftung ist ständige Anwesenheit in der Klinik unabdingbar, um bei Entzugserscheinungen, wie z.B. epileptischen Anfällen sofort helfen zu können. Nach der körperlichen Entgiftung ist ein stundenweiser Ausgang tagsüber möglich. So kann man, dann z.B. den SPA-Bereich im nahegelegen Dorinthotel nutzen, oder im Kurpark spazieren gehen.
Diskretion ist eine unserer wichtigsten Eigenschaften. Es kann hier bspw. niemand anrufen und fragen, ob Herr Sowieso da sei, man kann unter Aliasnamen einchecken und wir können auch andere Adressen vergeben, an die man sich Unterlagen senden lassen kann.
Golfmedico: Danke für das informative Gespräch!
Informationen
Die ICD-10 enthält spezifische Kriterien für die Diagnose der Alkoholabhängigkeit (F10.2). Die sichere Diagnose Abhängigkeit sollte nur gestellt werden, wenn irgendwann während des letzten Jahres drei oder mehr der folgenden Kriterien vorhanden waren:
- Ein starkes Verlangen oder Zwang, Alkohol zu konsumieren.
- Verminderte Kontrollfähigkeit in Bezug auf Beginn, Beendigung und Menge des Konsums. Die Person kann nicht aufhören oder ihren Konsum kontrollieren.
- Ein körperliches Entzugssyndrom beim Versuch, Alkohol abzusetzen oder die Dosis zu reduzieren.
- Eine Toleranzentwicklung, die zu einer gesteigerten Dosis Alkohol führt, um die ursprünglich erzielte Wirkung zu erreichen.
- Reduziertes Interesse an alternativen Vergnügungen oder Interessen.
- Anhaltender Konsum trotz Nachweis von manifesten schädlichen Konsequenzen.
Einen Selbsttest zum Thema Alkoholabhängigkeit finden Sie hier.
Weitere Infos zu der Betty Ford Klinik finden Sie hier.