Die Open Championship findet an einem Ort statt, in dem sich alles um Sport dreht. Natürlich liegt das in erster Linie am großen FC Liverpool, einem der mythischen Fußballvereine dieser Welt. Auch der ebenfalls aus der Stadt stammende FC Everton gehört zu den Teams mit großer Geschichte. Die Rivalität zwischen den »Reds« und den »Blues« wird mit viel Leidenschaft ausgelebt – mindestens so sehr wie gegen die nahe gelegenen, verhassten Vereine aus Manchester; auf der M62 sind es von Stadt zu Stadt keine 15 Minuten. Seit Jürgen Klopp bei Liverpool Trainer ist, schauen viele Fans aus Deutschland genauer hin, wenn die Premier League spielt.
Golf-Metropole Liverpool
Doch auch Golf wird hier großgeschrieben: Rund um die 500.000-Einwohner-Stadt liegen satte 55 Golfplätze – am Meer, im Inland, mit Flussblick. Und die Nummer 1 ist Royal Liverpool im Vorort Hoylake. Der Club, gegründet 1865, hat jede Menge Tradition und richtet »The Open« bereits zum dreizehnten Mal aus; dazu wurde 18-mal die British Amateur Championship ausgespielt, darunter 1885 das erste Turnier dieser Art überhaupt. Außerdem fand in Hoylake im Jahr 1902 das erste internationale Mannschaftsturnier zwischen England und Schottland statt.
Tiger Woods sicherte sich bei seinem Sieg 2006 mit einer taktischen Meisterleistung seinen eigenen Eintrag in die Geschichtsbücher, denn auf 72 Bahnen griff er nur ein einziges Mal zum Driver, sonst schlug er immer mit seinem legendären Eisen-2-Stinger ab oder benutzte kleine Hölzer. So vermied er die Topfbunker, traf fabelhafte 86 Prozent der Fairways und siegte mit zwei Schlägen Vorsprung vor Chris DiMarco, es folgten Ernie Els, Jim Furyk und Sergio García.
Randnotiz: An jenem Loch, an dem Tiger ausnahmsweise mal zum Driver griff, spielte er ein Bogey. Mit 270 Schlägen stellte er außerdem den Open-Rekord.
Open-Sieger in Hoylake
1897 Harold Hilton
1902 Sandy Herd
1907 Arnaud Massy
1913 J. H. Taylor
1924 Walter Hagen
1930 Bobby Jones
1936 Alf Padgham
1947 Fred Daly
1956 Peter Thomson
1967 Roberto De Vicenzo
2006 Tiger Woods
2014 Rory McIlroy
Durch seinen insgesamt dritten Open-Sieg (2000, 2005, 2006) war Tiger der erste Spieler seit Tom Watson 1983, der die Open zwei Jahre hintereinander gewonnen hatte – und dieser Rekord steht bis heute.
Unbekannter Star Peter Thomson
Royal Liverpool erzählt aber auch die Geschichte eines beinahe vergessenen Superstars. Peter Thomson gewann hier 1956 zum dritten Mal hintereinander die Open; er ist der einzige Spieler der Neuzeit, dem das gelang. Er sollte insgesamt fünf Mal die Open gewinnen, außerdem siegte er noch 26-mal auf der European Tour und 34-mal auf der Australasian Tour, später elf Mal auf der Champions Tour. Warum der Australier so unbekannt blieb, obwohl er doch in einem Atemzug mit Arnold Palmer und Gary Player genannt werden müsste? Seine sportlichen Erfolge kamen wenige Jahre zu früh. Erst kurz danach begannen die TV-Übertra- gungen der Turniere. Zudem war die Open Championship erst in den Sechzigerjahren für US-Spieler (und US-Fern- sehsender) von Bedeutung, weil sich die Reise bis dato finanziell nicht lohnte. Selbst ein Sieg hätte die Spesen nicht gedeckt; dazu kam der kleinere Ball, mit dem damals in Europa gespielt wurde.
Kaum ein US-Star wollte sich die Mühe machen, sich für ein Turnier, das dazu noch abenteuerlich schlecht dotiert war, umzustellen. Bei seinem letzten Sieg 1965 konnte Thomson allerdings ein Weltklassefeld um Jack Nicklaus, Arnold Palmer und Tony Lema schlagen, damals die drei Führenden der US-Geldrangliste.
Das Wetter als Favoritenschreck
Genug der Geschichte, freuen wir uns auf die aktuelle Open Championship. Wer ist der Favorit? Das ist bei Open-Vorschauen nahezu unmöglich zu sagen, denn viel wird vom wechselhaften Wetter abhän-gen. Wer hat Pech und muss ganz früh im heftigen Regen und Wind spielen? Und wer darf am Nachmittag raus, wenn der Wind abgeflaut ist und die Sonne strahlt? Von diesen extrem wechselhaften Bedingungen kann beispielsweise Bernhard Langer ein Lied singen. Die Open Cham- pionship ist das einzige Herren-Major, das noch von keinem deutschen Spieler gewonnen wurde. Bernhard Langer war ein paar Mal knapp dran: Zwei Mal wurde er Zweiter und vier Mal Dritter. Selbst kurz vor seinem 48. Geburtstag gelang ihm ein fünfter Platz. »Wir hatten immer unglaubliches Pech«, erinnert sich Caddie Peter Coleman und meint vor allem die Wetterkapriolen in Royal St. George’s im Jahr 1985, die Langers Open-Sieg wortwörtlich verwehten. »Wir mussten lange Eisen in die Grüns schlagen, doch bei Sandy Lyle waren Wind und Wetter immer perfekt: Er hatte höchstens noch ein Eisen 8 in der Hand.«
Brooks Koepka und Jon Rahm haben beim temporär verregneten Masters im April bewiesen, dass sie in schlechten Bedingungen ausgezeichnet zurechtkommen, während Scottie Scheffler vor allem auf den Grüns Schwierigkeiten hatte. Ob das am Wetter lag? Rory McIlroy konnte in Hoylake 2014 gewinnen. Nach so vielen knappen Niederlagen bei großen Turnieren (zuletzt bei der US Open 2023) gibt es wohl niemanden, der ihm den Sieg nicht gönnen würde. Er ist allerdings trotz seiner nordirischen Herkunft kein großer Freund von Winden – sein Ballflug ist zu hoch und damit anfälliger. Rory reist nach seinem Triumph bei der Scottish Open mit viel Selbstbewusstsein an.
Das Putten bei der Open Championship ist auch nicht so knifflig wie bei anderen Turnieren. Der Grund: Die Grüns müssen langsamer gehalten werden, um die Bälle bei starkem Wind nicht zu verwehen. Und auf langsameren Grüns haben schlechtere Putter weniger Nachteile, das Teilnehmerfeld wird nivelliert. Titelverteidiger Cam Smith dürfte erneut ein Faktor sein – mit seiner stoischen Art ist er den Herausforderungen von Links-Golf bestens gewachsen.
In jedem Fall ist auffällig, dass es in der modernen Ära stets die Superstars waren, die hier gewannen, was dafür spricht, dass Royal Liverpool die »kom- plettesten« Spieler belohnt. Der Sieg eines Spielers außerhalb der Top 10 oder Top 15 der Welt wäre eine Überraschung.
Die Open Championship 2023 ist auch der letzte große Formcheck vor dem Ryder Cup (29.9. – 1.10.2023): Beide Kapitäne, Zach Johnson und Luke Donald, werden sehr genau hinschauen, wer sich unter großem Druck gut schlägt. Und noch eine Neuerung: Erstmals geben die R&A-Verantwortlichen in diesem Jahr das Preisgeld in Dollar an – das Spiel wird eben immer internationaler.
151. Open Championship
Austragungsort: Royal Liverpool GC, Hoylake, Merseyside, England
Datum: 20. – 23. Juli 2023
Preisgeld: 16,5 Millionen Dollar
Titelverteidiger: Cameron Smith (AUS)
Deutsche Teilnehmer: Hurly Long, Yannik Paul, Marcel Siem, Tiger Christensen
Info: HIER