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150. OPEN CHAMPIONSHIP: Alles über St Andrews und das älteste Major

Ein standesgemäßer Ort: Die 150. Open Championship findet natürlich in St. Andrews (Schottland) statt, obwohl die allererste Open eben nicht dort ausgetragen wurde. Zu dem Jubiläumsturnier werden etwa 300.000 Zuschauer erwartet.

ST ANDREWS, SCOTLAND - APRIL 27: The Claret Jug sits on the first tee of The Old Course in front of the R&A Clubhouse at St Andrews on April 27, 2022 in St Andrews, Scotland. The 150th Open Championship will take place on The Old Course at St Andrews between the 14th and 17th July. (Photo by Richard Heathcote/R&A/R&A via Getty Images)

Kuriositäten, Anekdoten und Geschichten rund um die Open Championship

Ein standesgemäßer Ort: Die 150. Open Championship findet natürlich in St. Andrews statt, obwohl die allererste Open eben nicht dort ausgetragen wurde – dazu gleich mehr. Als Favoriten bei Experten und Buchmachern gelten u.a. Scottie Scheffler und Jon Rahm. Nicht nur, weil sie die Nummer eins und zwei der Welt sind, sondern weil sie auch bewiesen haben, unter dem größten Druck besonders stark aufzuspielen. Angesichts der Bedeutung dieses Jubiläumsturniers – und der fast 300.000 Zuschauer, die erwartet werden – ist Druckresistenz ein entscheidender Faktor.

Oder kann Tiger Woods mit all seiner Erfahrung den ganz großen Coup landen? Wie bei (fast) jeder British Open wird alles auch ein wenig vom Wetter abhängen.

Steigern wir unsere Vorfreude mit den schönsten Storys aus der langen Open-Geschichte, die 1860 begann.

Der Open-Start war ganz woanders

Der Wind wehte nur mäßig, und die Wellen der Irischen See warfen sich eher gelangweilt an die schottische Westküste. Am ersten Tee des Golfplatzes von Prestwick standen acht Golfer versammelt, von denen vermutlich keiner ahnte, dass sie drauf und dran waren, Sportgeschichte zu schreiben. Im Gegenteil: Es darf angenommen werden, dass die Professionals, die damals ihr Geld ausschließlich mit sogenannten Money Matches verdienten, eher widerwillig angetreten waren, um an diesem 17. Oktober 1860 ihren Champion auszuspielen. Drei Runden an einem Tag waren auf dem Zwölf-Löcher-Platz angesetzt, und der Gewinner sollte nicht einmal ein Preisgeld bekommen, sondern lediglich einen nur mäßig hübschen Gürtel aus rotem Leder mit silberner Schnalle. 

Old Tom Morris aus St. Andrews galt als Favorit, schließlich hatte er den Platz entworfen und war außerdem der hiesige Clubprofessional (offizieller Titel: »Keeper of the Green, Ball and Club Maker«). Doch an jenem Tag war Willie Park Senior besser. Er benötigte 174 Schläge auf den 36 Löchern, zwei weniger als der mächtige Morris. Park wurde der erste Open-Champion. 

Den Zeitungen war Parks Sieg nur eine Randnotiz wert. Immerhin nahm man erstaunt zur Kenntnis, dass Tom Morris verloren hatte, denn der war auch schon zur damaligen Zeit eine Berühmtheit. Möglicherweise entfachte erst Morris’ Niederlage ein gewisses Interesse an dem skurrilen Zusammentreffen in Prestwick. Im Jahr darauf fand die zweite Open Championship statt. Diesmal waren 18 Spieler am Start, zehn Professionals und acht Amateure. Die Scores sind nur bruchstückhaft überliefert, aber nun setzte sich der Favorit durch: Morris gewann mit vier Schlägen Vorsprung vor Park.

Open: Morris & Park

Überhaupt ist die frühe Geschichte der British Open die Geschichte zweier großer Golfdynastien: Auf der einen Seite Old Tom Morris und sein Sohn Young Tom Morris (acht Titel), auf der anderen Seite Willie Park mit Bruder Mungo und Sohn Willie Park Junior (sieben Titel). Vater und Sohn Morris waren die ersten Superstars der Golfwelt. Der Sohn siegte bei der Open 1868, 1869, 1870 und 1872 (1871 fand kein Turnier statt). Bis heute konnte niemand den Titel vier Mal hintereinander gewinnen. 1868, als 18-Jähriger, schlug der junge Tom das erste Ass der Open-Geschichte an Loch 8 von Prestwick, und 1869 wurde der Vater hinter dem Sohn Zweiter. Nach seinem Titel-Hattrick durfte der Junior den Championship-Gürtel behalten; 1872 stemmte er, wenn auch mit ein paar Wochen Verspätung, das erste Mal die Claret Jug in die Höhe, die berühmte Silberkanne.

Allmählich kam die Sache in Schwung, vor allem, nachdem die Open 1873 erstmals in St. Andrews ausgespielt wurde, einer auch im 19. Jahrhundert bereits golfverrückten Stadt. Die besten Golfer des Landes, alle bei einem Turnier gegeneinander, eine echte Meisterschaft: Wie bei so vielen großen Ideen fragt man sich hinterher, warum denn niemand bloß früher darauf gekommen war. Die Zuschauerzahlen sind nicht überliefert, aber nach historischen Fotografien kann geschätzt werden, dass zumindest ab etwa 1875 zehntausende Golffans zur Championship pilgerten; sicher auch ein Verdienst der Strahlkraft von Old und Young Tom Morris. Allmählich stieg das Preisgeld: Seit 1864 gab es für den Sieger sechs Pfund, selbst nach damaliger Kaufkraft ein karger Lohn. Ab 1876 kletterte der Siegerscheck auf 10, 1893 auf 30 Pfund. Viel Geld war das immer noch nicht, aber der Sieger konnte seinen Titel stets bei anschließenden Schauauftritten versilbern. Ein Open-Champion durfte auf hohe Antrittsprämien hoffen.

French golfer Arnaud Massy Original Publication: People Disc - HH0018 (Photo by Topical Press Agency/Getty Images)
Arnaud Massy (Photo: Getty Images)

Erst 1907 triumphierte mit dem Franzosen Arnaud Massy der erste Nicht-Brite, 1921 konnte Jock Hutchison als erster US-Amerikaner den Titel gewinnen. Im Jahr darauf wurde in Royal Liverpool mit Walter Hagen der erste Star der neuen Ära zum Open-Champion gekürt. Hagen und Bobby Jones dominierten den Golfsport nicht nur in den USA, sondern auch in Britannien und gewannen in den folgenden Jahren sieben Open-Titel diesseits des Atlantiks. 

Bobby Jones, der Gentleman-Golfer, sollte sogar zum Ehrenbürger von St. Andrews werden, dabei begann sein Open-Abenteuer auf dem ganz falschen Fuß: Bei seiner ersten Teilnahme auf dem Old Course nahm er wutentbrannt an Loch 12 seinen Ball auf, warf die Scorekarte weg und stapfte ins Clubhaus. Die britische Presse zerriss den »Schnösel aus Übersee«. Erst allmählich verliebte sich Bobby Jones in Links-Golf, und bald wurde er zum populärsten Spieler seit Old Tom Morris. Als er einmal unangekündigt auf dem Old Course spielte, sprach sich die Neuigkeit in Minutenschnelle in der Stadt herum, und schon an Bahn 2 applaudierten ihm tausende ergebene Fans. Jones bedankte sich viel später auf anrührende Weise. Bei seiner Rede zum Erhalt der Ehrenbürger-Würde sagte er einen Satz, der Golfgeschichte schrieb: »Selbst wenn man mir mein gesamtes Leben wegnähme und mir nur die Zeit in St. Andrews ließe, hätte ich dennoch ein erfülltes Leben gehabt.«

Colonel Beaumont zeichnet Bobby Jones
Colonel Beaumont zeichnet Bobby Jones (Photo: Getty Images)

Club ohne Platz, Platz ohne Club

Der Old Course von St. Andrews ist aus deutscher Sicht ein kurioses Konstrukt. Denn er gehört keinem Club, sondern den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt. Es ist gewissermaßen eine öffentliche Parkanlage, die tatsächlich auch (fast) jeden Sonntag – dann ist spielfrei – von den Menschen zum Spazierengehen benutzt wird. Um die Pflege und Verwaltung kümmert sich der St Andrews Links Trust, eine gemeinnützige Stiftung. Und der Royal & Ancient Golf Club, der berühmteste Club der Welt und sogar, gemeinsam mit der USGA, oberster Regelhüter unseres Sports, ist zwar direkt am Old Course angesiedelt, ist aber faktisch ein Club ohne Platz. Das ist in Großbritannien und Irland durchaus keine Seltenheit. »Clubs« gründen sich und schließen Abmachungen, um auf bestimmten »Courses« spielen zu dürfen.

'Amateur Golf Championship at St Andrews 1895. Tie between Mr Leslie Balfour Melville and Mr John Ball Junr'. (Photo by Sarah Fabian-Baddiel/Heritage Images/Getty Images)
Amateur Golf Championship in St Andrews 1895. (Photo: Getty Images)

Abstieg und Aufstieg

Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Open Championship so gut wie erledigt und in der Golfwelt nur von lokalem Interesse. Der düstere Schatten der Nachkriegszeit lag über Großbritannien und Irland, die Wirtschaft war am Boden, im Gegensatz zum Kriegsverlierer- und Wirtschaftswunderland Deutschland. Schlecht gepflegte Plätze, niedriges Preisgeld, lausige Unterkünfte, teilweise sogar noch Lebensmittelkarten: Kein Spitzen-Pro aus Übersee interessierte sich für das Turnier, und längst spielte sich das große Turniergolf ohnehin in Amerika ab. Damals musste zudem noch mit dem Schiff tagelang über den Atlantik gereist werden; die US-Stars winkten dankend ab. 

Im Jahr 1951 gewann der Engländer Max Faulkner die Claret Jug sowie 300 Pfund Preisgeld, und selbst Golfverrückte dürften Schwierigkeiten haben, irgendwelche bekannte Namen in der Teilnehmerliste des Turniers zu entdecken. Nur als Beispiel: Die Zweit- und Drittplatzierten hießen Antonio Cerdá und Charlie Ward.

Jul 1953: Ben Hogan of the USA with the Claret Jug after victory in the British Open at Carnoustie, Scotland. Mandatory Credit: AllsportUK/Allsport
Ben Hogan (Photo: AllsportUK)

Die British Open waren damals weit davon entfernt, als Major-Turnier ernst genommen zu werden, und möglicherweise wären sie bald ein zwar traditionsreiches, aber letztlich ganz gewöhnliches nationales Open-Turnier wie die French Open oder Irish Open geworden. Das änderte sich 1953, als Ben Hogan nach Carnoustie kam und gewann – obwohl die Europäer damals noch mit einem kleineren Ball spielten und Hogan sich umgewöhnen musste. Zwar würde Hogan nie mehr in die wurmstichigen Betten zurückkehren, aber er brachte mit seinem Sieg die British Open wieder ins Bewusstsein der Golffans. Endgültig zurück in den Kreis der Großen kam die Open 1960, bei der Arnold Palmer in St. Andrews antrat und um einen Schlag verlor. »Ich komme zurück, bis ich dieses Turnier gewinne«, sagte er anschließend vor der jubelnden Menge. Im darauffolgenden Jahr in Royal Birkdale klappte es. Ein Jahr später waren neben Palmer Stars wie Sam Snead nach Großbritannien gereist, und auch die US-Presse erkannte die Open als ein Major-Turnier an.

Ewige Streitfrage: »Open Championship« oder »British Open«?

Briten reagieren pikiert, wenn Ausländer die Open Championship »British Open« nennen. Aber Sprache ist dazu da, Klarheit zu schaffen. Deswegen ist es gestattet, auch traditionsreiche Eigennamen abzuwandeln. Und weil es nun einmal die US Open, die French Open und die Irish Open gibt, ist es völlig in Ordnung, von der British Open zu sprechen. Wir sprechen ja auch vom »Wimbledon-Sieger« Boris Becker und nicht vom »Lawn Tennis Champions«-Sieger Boris Becker. Und wir bestehen umgekehrt auch nicht darauf, dass sich die Briten in jeder Nachrichtensendung an dem konsonantenreichen Wortungetüm »Bundesrepublik Deutschland« versuchen: Wir können gut mit »Germany« leben. Klar, dass die Marketing-Verantwortlichen der Open Championship auf ihr »The Open« pochen, aber gemein machen muss man sich mit diesem Werbetrick wahrlich nicht.

Und wem das immer noch nicht reicht: Es existieren Filmaufnahmen aus den 1960er-Jahren, in denen die R&A-Verantwortlichen bei der Siegerehrung ebenfalls von der »British Open« reden. Shocking

Ein letztes Detail für alle, die es ganz genau nehmen wollen: Im Englischen wird St Andrews ohne Punkt hinter dem St. geschrieben.

ST ANDREWS, SCOTLAND - FEBRUARY 14:A pin flag is pictured in front of the R&A Clubhouse with 150 Days to go until The 150th Open at St Andrews on February 14,2022 in St Andrews,Scotland. (Photo by Liam Allan/R&A/R&A via Getty Images)
150. Open in St Andrews (Photo: Getty Images)